Apollo 11 (Doku, USA 2019)

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Harastos – bekennender Apollo-Fan – das Besondere an dieser Dokumentation bemerkte: Es gibt keine Off-Stimme, die das, was man sieht, erklärt oder kommentiert. Der Film zur Mission Apollo 11, die am 16. Juli 1969 von Cape Kennedy in Florida zur ersten bemannten Mondlandung aufbrach, besteht ausschließlich aus zeitgenössischem Bild- und Tonmaterial, darunter auch neues, bisher nie gesehenes Filmmaterial aus den (Un-)Tiefen des NASA-Archivs.

Todd Douglas Miller sichtete mit seinem Team Hunderte Stunden von Film-, Video- und TV-Aufnahmen, rund 11.000 Stunden Audio-Aufnahmen sowie Tausende von Standbildern und schnitt daraus einen 90-minütigen Kinofilm, der in Form einer Live-Reportage die drei Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins auf ihrem Weg zum Mond und wieder zurück begleitet.

Der Film beginnt – sehr eindrucksvoll – mit dem Transport der riesigen Mondrakete Saturn V vom VAB (dem Montagegebäude) zur Startrampe; die Rakete steht dabei senkrecht auf dem Crawler, dem (bis heute) größten Landtransportfahrzeug der Welt: Er misst 40 mal 35 Meter und wiegt über 2700 Tonnen (fast so viel wie die vollgetankte Rakete); die Höchstgeschwindigkeit beträgt 3,5 km/h, der Verbrauch liegt bei knapp 300 Liter Diesel pro Kilometer.

Das Kennedy Space Center mit VAB und Saturn V

Die folgenden 35 Minuten haben nur eine Hauptdarstellerin, um die sich alles dreht: die Saturn V. Zunächst gibt der Countdown den Rhythmus vor: Techniker checken noch die Systeme der Rakete durch; die Astronauten werden ihrerseits noch ein letztes Mal durchgecheckt, mit einem Fahrzeug zur Startrampe gebracht, wo sie dann mit dem Lift 100 Meter bis nach oben an die Raketenspitze zu ihrem Raumschiff fahren; schließlich werden sie im CM festgeschnallt. Die Zuschauer am Kap, teilweise schon Tage vorher mit der ganzen Familie angereist, bereiten sich jeder auf seine Art auf den großen Moment der Zündung vor. Auch im Pressezentrum beherrscht die meisten Reporter aus aller Welt der Gedanke an den historischen Moment der ersten Mission zu einem anderen Himmelskörper.

Nach 24 Filmminuten ist es so weit. Der Countdown geht in die letzten, explizit angesagten Sekunden. Er beginnt bei 12 – dann 11109 – und danach scheiden sich für gewöhnlich die Geister, die verstanden oder nicht verstanden haben, wie der Countdown einer Saturn V abläuft. Apollo 11 hat es verstanden. Nach der 9 folgt der (immer) vollständig ausgesprochene Satz Ignition Sequence starts – die Triebwerke zünden. Und das tun sie. Und wie sie es tun! Neun Sekunden feuern sie bis zum Liftoff, dem Abheben der Rakete (das bei Null erfolgt). Die fünf Triebwerke der ersten Stufe brauchen genau diese neun Sekunden, um den Schub aufzubauen, der nötig ist, um die knapp 3000 Tonnen, die die Rakete mit der gesamten Nutzlast wiegt, gegen die Erdschwerkraft zu starten.

Nach dem Ignition Sequence starts folgt im Film ein harter Schnitt: Völlige Stille; dann hebt sich in Superzeitlupe die Rakete in die Höhe. Das Bild bleibt zunächst auf die Triebwerke fokussiert, öffnet sich und zeigt die erste Stufe, dann die gesamte Rakete, die inmitten eines Flammen- und Rauchmeers weiter steigt. Man hört den Satz We have a ignition. Das Bild öffnet sich weiter: Von schräg unten sieht man der Rakete zu, wie sie zunächst den Tower passiert, dann weiter in den Himmel Richtung Mond fliegt.

In noch keinem Film zuvor – sei es Faction oder Fiction – hat harastos einen erhabeneren Raketenstart gesehen.

Durch das Fehlen von Kommentaren oder so genannter Talking Heads, erlebt man sich als Zuschauer (und -hörer) mitten in einer Live-Reportage aus dem Sommer 1969 … Und auch bei den weiteren Etappen der Mission hält der Film diese Als-wär-man-(aktuell-)mitten-drin-anstatt-nur-(später-)dabei-Perspektive durch: beim Einschuss in die Mondbahn, bei der Landung auf dem Mond, dem Ausstieg auf die Mondoberfläche, bei der EVA, dem Wiederaufstieg, dem Reentry, der Wasserung im Pazifik.

Steigert sich schon die erste halbe Stunde zu einem wahren Hymnus auf die Maschine – das heißt: auf die Maschine, nämlich die Saturn V –, erweitert das der Film im Folgenden zu einem Hymnus auf den Heldenmut der Astronauten, die Ausführenden, und der Techniker, die ihnen das erst ermöglichen, kurzum: auf den menschlichen Forschergeist (auch die menschliche Abenteuerlust), auf das, was möglich ist, wenn man sich nur dazu entschließt.

Apollo 11 konzentriert sich auf das Beste im Menschen, auf das, was aus ihm hätte werden können, wenn er sich nicht – im Gefolge der 60er – selbst kasteit und kastriert hätte, indem er sich aus der wirklich großen Raumfahrt verabschiedete, um sich auf den (vermeintlich) billigeren Erdorbit zu beschränken. Ja, das Apollo-Programm war teuer und hatte keinen unmittelbaren Nutzen (aber mittelbar machte Apollo zum Beispiel die IT-Branche erst zu dem, was sie bis heute ist). Und der zeitgleich stattfindende Vietnamkrieg kostete (mindestens) das Vierzigfache und hatte weder einen unmittelbaren noch einen mittelbaren Nutzen …

Fazit: Ein Hohelied in Bildern und Tönen auf die menschliche Größe.

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