Auf die Frage eines Mitglieds des Ausschusses zur Rekrutierung der Gemini-Astronauten, warum er die Raumfahrt für bedeutend halte, antwortet Neil Armstrong: „Ich weiß nicht, was uns die Weltraumforschung für neue Erkenntnisse bringt, aber keinesfalls wird es nur eine Forschung um der Forschung willen sein. Ich denke, es wird darum gehen, dass wir dadurch Dinge sehen, die wir vielleicht schon längst hätten sehen sollen, aber uns bisher einfach verschlossen waren.“ (Minute 17f.)

Die großen Fragen der bemannten Raumfahrt behandelt der Film Aufbruch zum Mond (fast ausschließlich auf ganz persönlicher Ebene und konzentriert sich dabei auf einen Astronauten: Neil A. Armstrong, der vor 50 Jahren als erster Mensch den Mond betrat. Geboren wurde Armstrong am 5. August 1930 in Wapakoneta, Ohio. Zu einer Zeit, als der erste Nonstop- und Alleinflug über den Atlantik gerade drei Jahre zurücklag; in Berlin war ein paar Monate zuvor ein gewisser Wernher von Braun zum Team um Rudolf Nebel gestoßen, einem Team, das auf dem Raketenflugplatz Berlin erste Experimente mit Flüssigtreibstoffraketen anstellte. (Wernher von Braun, der heute gern Verschwiegene, wird im Film immerhin einmal namentlich erwähnt, als „von Braun“ in Minute 16.)
Bereits die erste Sequenz offenbart die Stärken und Schwächen des Films. Armstrong, wir schreiben das Jahr 1961, absolviert mit der legendären X-15 einen Stratosphärenflug, gerät dabei in Schwierigkeiten, schafft es aber doch noch zu verhindern, dass er im unendlichen All verloren geht. Es wird kaum gesprochen, die Musik setzt spät ein und bleibt zurückhaltend; den Rhythmus und auch die Dramatik verleiht der Szene die Kameraführung und die Geräuschkulisse. Die Geräusche, sehr dominierend und laut, aber gut durchgezeichnet, repräsentieren die Technik. Die menschliche Seite, den Piloten Armstrong, erlebt man fast durchweg in Großaufnahmen. Dadurch ist man beidem, der Technik wie dem Menschen, sehr nahe.
Die Schwäche dieser Sequenz – die die Schwäche des gesamten Films ist, und die ihn am Ende, als Ganzes, auch scheitern lässt – wird zunächst überdeckt von den optischen wie akustischen Reizen, denen das Gehirn des Zuschauers ausgesetzt ist (vor allem, wenn es in einem IMAX sitzt). Aber bald wird es nervig: Die Geräuschkulisse, die mit viel Aufwand inszeniert wurde, um spürbar zu machen, dass der Pilot, will er die Technik beherrschen, sich ihr zunächst auszuliefern hat, passt nicht zu dem, was man sieht, nämlich Mensch und Maschine im Grenzbereich. Es klingt überhaupt nicht dramatisch, sondern bloß wie ein blechernes Spielzeug, dessen Batterien gerade dabei sind, den Geist aufzugeben.
Doch vergisst oder verzeiht man das dem Film zunächst, weil er in der kommenden Stunde zur Hochform aufläuft. Er schildert, und ist darin tatsächlich „absolut ehrlich“, wie Ulrich Walter (hier) schreibt, den Alltag von Astronauten zwischen Testflügen, Schulbank und Familie. Er geht dabei „sehr nahe an die Menschen heran“, so Walter weiter. „Man sieht in langen Sequenzen nur Gesichter und ihre Mimik. Es geht darum, was die Menschen in den extremen Situationen der Raumfahrt erleben und fühlen und das tut der Film mit akribischer Präzision.“
Akribisch präzise, bis nah an die Schmerzgrenze, ist der Film auch in der psychologischen Charakterisierung der Hauptfigur. Am deutlichsten wird das in einer Sequenz, die den Film Apollo 13 (USA 1995, Regie: Ron Howard) zitiert:
In Apollo 13 findet man nach dem Ende der Mondlandeparty Jim Lovell mit seiner Frau Marilyn im heimischen Garten; beide sind leicht beschickert. Lovell misst mit vor die Augen gehaltenem Daumen die Größe des Mondes, der am nächtlichen Himmel steht. Er schwingt eine Rede zum allgemeinen Lob der Raumfahrt, die in dem Satz gipfelt: „Von jetzt an leben wir in einer Welt, in der der Mensch den Mond betreten hat.“ Es folgen ein paar Schäkereien der beiden, was schließlich in ehelichem Sex endet, also in einem, sozusagen, kommunikativen Akt.
In Aufbruch zum Mond verlässt Armstrong nach der Beerdigungsfeierlichkeit für Elliot See, einem Astronautenkollegen, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist, das Haus. Allein steht er im Garten und vermisst – mit einem Sextanten – den Mond am nächtlichen Himmel. Nach einigen Minuten folgt ihm Ed White, der Astronaut, der ihm am nächsten steht, und spricht ihn mit einem männlich-verlegenen „Na, Kumpel!“ an. „Willst du dich nicht mal um Jane kümmern? Deine Kinder ins Bett bringen? Ihnen noch was vorlesen? Gerade in solchen Zeiten …“ Armstrong lässt vom Sextanten ab und wendet sich langsam White zu: „Denkst du“, sagt er, „ich stehe hier draußen im Garten, weil ich mich unterhalten will, Ed?“ White ist düpiert. „Denkst du“, fährt Armstrong fort, „ich bin da abgehauen, weil ich mit jemandem reden will?“
„Genau so war Neil Armstrong“, meint Ulrich Walter. „Ein hervorragender Jet-Pilot mit fingerdicken Nerven, der nur wenig redete und seinen Empfindungen kaum Ausdruck geben wollte. Diese Vorzüge, die ihn zum ersten Menschen auf dem Mond machten, führten seine Familie an den Rand des Abgrundes. Auch diese Geschichte erzählt der Film detailgetreu und genau darin liegt seine Stärke.“

Die Schwächen des Films kulminieren – ausgerechnet – in der letzten von drei ausführlich geschilderten Missionen, nämlich in der Mondlandung (Apollo 11), die ja den Höhepunkt des Apollo-Projekts und des Lebens von Neil Armstrong darstellt.
Die Sequenz beginnt mit einer durchaus beeindruckenden Totalen der Mondrakete Saturn V am Launch Pad. Auch die Musik und die Geräusche (diesmal dezenter als sonst üblich) sind für sich genommen überzeugend. Als Ganzes bleibt der doch eigentlich grandiose Start der Superrakete (man denke an Apollo 13) seltsam „breiig“, ohne Kontur und Dramaturgie; dass da gerade die Menschheit – oder auch „nur“ drei Exemplare derselben – zu einer anderen Welt aufbricht, teilt sich in keiner Sekunde mit.
Und es kommt noch schlimmer. Als das Raumschiff am Mond ankommt und das LOI absolviert, das Manöver zum Einschuss in einen stabilen Mondorbit, tritt wieder die Technik in den Vordergrund, was der Film wie üblich mit enormer Geräuschpower deutlich macht. An der auch diesmal nichts stimmt. Das Ganze klingt wie eine altersschwache Diesellok, die marod kreischende Waggons über ein verrottetes Schienenbett mit morschen Schwellen und durchgerosteten Gleisen schleppt. Und das minutenlang und mit unglaublichem Schallpegel!
Selbst das lässt sich aber noch unterbieten: Im Andenken an den frühen Tod seiner Tochter – der im Film immer wieder als Gegenpart zur allgegenwärtigen Technik ins Spiel gebracht wird – wirft Armstrong nach der Landung auf dem Mond ein Kettchen dieser Tochter in einen Mondkrater. Dass das frei erfunden ist – geschenkt. Dass das eine unglaublich kitschige Szene ist – auch geschenkt. Nicht geschenkt hingegen ist, dass der Film sich mit dieser Szene praktisch verrät, als hätte er es plötzlich mit der Angst zu tun bekommen, Armstrong bisher zu hart gezeichnet zu haben. In dieser Szene gilt nicht mehr Ehrlichkeit als Devise – sondern Verbeugung vor einem kitschverwöhnten Publikum.
Fazit: Ein Film, der – einerseits – den Alltag von Astronauten zwischen Testflug, Schulbank und Familie sehr glaubwürdig schildert. Aber auch ein Film, der sich andererseits seltsame „Aussetzer“ leistet: eine Klangspur, die selten zu dem passt, was sie „untermalt“; peinliches Abdriften ins Kitschige statt dramaturgischer Höhepunkt am Ende. – Unter Profi-Kritikern überwiegen allerdings die positiven Stimmen; Ulrich Walter, Ex-Astronaut der ESA, ist da schon etwas deutlicher; am deutlichsten wird man bei robots-and-dragons.de, deren Fazit lautet: „Leider überambitioniertes und an diesen Ambitionen scheiterndes Astronautendrama …“
Die Zitate stammen wörtlich aus der deutschen Synchro des Films.
Das Zitat Jim Lovells („Von jetzt an …“) stammt wörtlich aus der deutschen Synchro des Films Apollo 13 (Übersetzung Tobias Meister).
Cast & Crew von First Man (so der Originaltitel des Films) gibt es hier (englisch).