Edison – Ein Leben voller Licht (USA 2017)

„Ich, Thomas Alva Edison, reiche heute, am 27. Januar 1880, diese Kurzfassung meines Patentantrages beim Patentamt der Vereinigten Staaten von Amerika ein. Bei meiner Erfindung handelt es sich um den einzigartigen Entwurf eines gläsernen Vakuumkolbens, in dem sich ein dünner Baumwollfaden befindet, dessen Enden an Stäben befestigt sind und einen Bogen formen. Einzelheiten und schematische Darstellungen folgen. Sie werden sämtliche Aspekte der Erfindung deutlich machen. Ihr Zweck ist ganz einfach: Licht zu spenden.“

Mit diesen Worten beginnt der Film Edison – Ein Leben voller Licht (USA 2017; Drehbuch: Michael Mitnick, Regie: Alfonso Gomez-Rejon). Sie kommen aus dem Off, während das Bild gemächlich auf einen fahrenden Personenzug überblendet. Ausgangspunkt der Blende war das erste, fast statische Bild des Films: Edison, wie er, umtost von einem Schneesturm, in etwas zurückgenommener – heute würde man sagen: in lässiger Heldenpose dasteht und der Welt kämpferisch entgegenblickt. Als einsamer Wolf inmitten der um ihn wütenden Natur.

Der Zug ist „beladen“ mit Investoren. Ziel des Zuges ist Menlo Park, die Forschungsfabrik Edisons. Hier tüfteln Hunderte von begabten bis besessenen Technikern an den Ideen, die Edison hat. Dort wurde auch der erwähnte „gläserne Vakuumkolben“ – vulgo: die Glühbirne – ausgeheckt. Edison führt sie in einen archaischen Kreis, nur dass hier nicht Hinkelsteine den Kreis bilden, sondern Säulen, auf deren Kapitellen Glühbirnen sitzen. Das Bild – der Film zeigt es von oben – ist (natürlich) gewaltig: Ein Stonehenge aus elektrischem Licht.

Das war gleichsam der Prolog des nachfolgenden Stromkriegs – des Current War, so der Originaltitel des Films. Bei The Current War handelt es sich um ein Wortspiel: Die wörtliche Bedeutung ist Der Stromkrieg; current = Strom (Alternating Current = Wechselstrom; Direct Current = Gleichstrom); der Begriff Stromkrieg ist eingegangen in die amerikanische Geschichte als Kampf bei der Elektrifizierung des Landes zwischen Thomas Edison (Verfechter des Gleichstroms) und George Westinghouse (Vertreter des Wechselstroms). Und das ist auch die vordergründige Handlung des Films: Edison, der nach Erfindung der Glühbirne alles daran setzt auch sein System der Stromversorgung durchzusetzen, das auf Gleichstrom beruht. Westinghouse hingegen setzt auf Wechselstrom, dessen Infrastruktur sehr viel effektiver und billiger zu verwirklichen ist. Diesen Krieg der Systeme gewann (natürlich) Westinghouse: Bis heute basiert die Stromversorgung weltweit auf dem System Westinghouse (und wird das vermutlich auch die nächsten 1000 Jahre tun, gleichgültig, wie der Strom hergestellt werden mag).

Aber The Current War hat eine weitere Lesart: The Current War steht auch für den gegenwärtigen Krieg (current = aktuell, derzeit, rezent), den Krieg also, der aktuell stattfindet, den Krieg, der uns alle derzeit umtreibt – und dessen Spuren allenthalben … na ja: eben gegenwärtig sind.

Und so gesehen, öffnet der Film (für die Verhältnisse, die derzeit, schon wieder dieses Wort, in Hollywood vorherrschen) ganz andere Dimensionen.

Auch diese Geschichte beginnt mit einer Zugfahrt: Edison sitzt mit seiner Familie in einem Zug Richtung Washington D. C. Dort angekommen, spricht der Präsident einen albernen Reim in den Edison’schen Phonographen. Hinter den Kulissen erhält Edison ein Millionenangebot, das er jedoch – laut und wiederholt – ablehnt, weil er es für „inakzeptabel“ hält. Es geht um die Entwicklung von Waffen. Aber Edison hat da ganz klare Prinzipien: „Wenn es Geräte gibt, die ich niemals bauen werde, dann solche, die Menschen töten. Das ist barbarisch.“ Der Film kommt in der Anfangsphase immer wieder auf diese Edison’sche Moral zurück: „Meine Erfindungen“, so Edison später, „funktionieren. Und wenn sie funktionieren, ist es mir lieber, wenn sie keinen umbringen.“ Oder: „Mein Gehirn wird nichts erfinden, was den Menschen Schaden zufügt.“

Der Präsident beim Reimen …

Aber als er durch den Erfolg von Westinghouse – immer mehr Städte der USA entscheiden sich für den Wechselstrom –, in Bedrängnis gerät, vergisst Edison zunehmend seine einstigen Ideale. Was schließlich so weit geht, dass er nicht einmal mehr vor Lug und Betrug (und Heuchelei) zurückschreckt.

Es beginnt – wie meistens – mit heuchlerisch zugesicherter Moral. Bei Edison der schon erwähnte Satz: „Mein Gehirn wird nichts erfinden, was den Menschen Schaden zufügt.“ Dieser Satz fällt bei einer Firmenbegehung gegenüber einer Handvoll Journalisten. Einer dieser Journalisten fragt nach: „Sie sagen also, Westinghouse will den Menschen Schaden zufügen?“

Worauf Edison erwidert: „Nein, ich darf das nicht sagen.“ Ein angedeutetes Lächeln (vielleicht auch schon ein Grinsen), dann: „Sie schon.“

Danach steigert er sich langsam: Er tötet, vor Pressevertretern, per Wechselstrom ein Pferd, um die Gefährlichkeit des Wechselstroms zu demonstrieren (was er „Westinghousen“ nennt). Als in einer Westinghouse-Firma ein Arbeiter an einem Stromunfall stirbt, nutzt er das sofort für seinen Feldzug gegen den Wechselstrom und „argumentiert“ auch hier mit heuchlerischer Moral: Er sei – über diesen Unfall – weniger traurig als vielmehr wütend, weil er ja hätte verhindert werden können, wenn man sich erst gar nicht auf Wechselstrom eingelassen hätte und so weiter blabla.

Endgültig überschreitet Edison den Rubikon, als ein gewisser Southwick Brown von der Kommission für Todesstrafen (zum zweiten Mal) an ihn herantritt. Brown ist daran gelegen, die Hinrichtung von verurteilten Delinquenten möglichst human zu gestalten. Wozu es auch allen Grund gibt, denn die übliche Hinrichtung durch den Strang zeichnete sich vor allem durch Pfusch aus: die Delinquenten starben „entweder durch Ersticken oder sie wurden gewaltsam geköpft“. Als er sich zum ersten Mal an Edison gewandt hatte – während der Pferde-„Hinrichtung“ –, wurde er noch brüsk abgewiesen, weil Edison immerhin noch einen Unterschied zwischen einem Pferd und einem Menschen sah.

Als er jetzt – inmitten des Stromkriegs – an ihn herantritt, hat er noch immer das gleiche (ehrenwerte) Anliegen. Zusätzlich weiß er aber auch, wie er es durchsetzen könnte: Ein Delinquent in Buffalo – er hat seine Frau mit der Axt erschlagen – steht zur Hinrichtung an, und Brown will von Edison „nur“ dessen Rat in Detailfragen – „wo setzt man die Elektroden an, wieviel ist noch menschenwürdig“. Im Gegenzug bietet er etwas an, von dem er weiß, dass Edison es sich wünscht: „Ich werde zum geeigneten Zeitpunkt bekannt geben – und das ganz offiziell –, dass es die Stromart von Westinghouse ist, die zum Töten von Menschen eingesetzt wird.“

Jetzt wäre der Zeitpunkt für Edison, dem Ganzen ein Ende zu machen. Und er weiß es; man sieht es ihm an. Aber er tut es nicht. Stattdessen geht er auf das unmoralische Angebot ein: „Mein Name darf in diesem Zusammenhang niemals genannt werden“, sagt er. Und weiter: „Sie haben von mir keine Ratschläge erhalten und Sie werden verlauten lassen, dass der Strom von Westinghouse die beste Art ist, Leute umzubringen.“ Und zum Schluss weist er Brown noch ausdrücklich darauf hin, die Korrespondenz, die es bisher zwischen ihnen gegeben hat, zu verbrennen.

Der Film treibt es noch weiter. Als die Hinrichtung schiefgeht und zur Schlächterei wird, die man eigentlich verhindern wollte, ist Edison wieder zur Stelle und auf der richtigen Seite: Er habe es ja schon immer gewusst …

Westinghouse

Trotz allem schließt der Film versöhnlich.

Wir befinden uns auf der Weltausstellung in Chicago 1893. Für die Stromversorgung der Ausstellung hatten sich sowohl Westinghouse als auch Edison beworben; den Zuschlag erhielt Westinghouse – es war der Durchbruch für sein System. Und in diesen letzten Minuten gelingt dem Film – auch angesichts seiner beiden Hauptdarsteller – etwas ganz Ungewöhnliches.

Westinghouse und Edison begegnen sich zufällig in der Ausstellung. Sie befinden sich vor der eingezäunten chinesischen Vertretung; eine alte Chinesin kalligraphiert innerhalb des umzäunten Areals chinesische Schriftzeichen.

Es ist Westinghouse, der das Gespräch mit ein paar Belanglosigkeiten eröffnet. Aber Edison ist es unmöglich, auf diese Höflichkeitsfloskeln einzugehen, und kommt deshalb gleich zur Sache: „Es ist ein seltsames Gebilde, so ein Zaun, oder? Der Nachbar errichtet einen, und aus einem Großenganzen werden zwei Teile … Es gibt dabei nur ein Problem: Die Person auf der einen Seite hat den Zaun entworfen … und auch aufgebaut und sogar dafür bezahlt. Trotzdem bekommt die andere Person einen wunderschönen Zaun ganz umsonst.“

„Ich“, erwidert Westinghouse, „habe Ihnen Ihre Idee nicht weggenommen.“

Die Idee ist natürlich die Glühbirne. Und dann stellt Westinghouse eine Frage, die Edison verwirrt; es fällt ihm sichtlich schwer zu verstehen, dass ein Mann wie Westinghouse eine solche Frage überhaupt stellen kann.

Wenn diese Frage heutzutage auch allzu abgegriffen scheint (weil einfach zu oft und bei allen, also auch bei unpassenden Gelegenheiten gestellt), ist es doch eine Frage, die man einem Künstler stellt und nicht einem Erfinder.

Begegnung auf der Weltausstellung

„Ich habe mich gefragt“, so Westinghouse, „wie es sich anfühlte … das mit der Glühlampe … als Sie’s wussten. Was war das für ein Gefühl in diesem Moment?“

Die Erwiderung Edisons ist zweifellos der schönste Moment dieses Films – aber auch noch sehr viel mehr. Edison schildert, ganz an der Oberfläche des Technikers bleibend, wie man über Jahre hinweg Tausende, ja Zehntausende von Glühfäden probiert und keiner von ihnen je länger als 10 Minuten durchgehalten hat. Aber dann kam eben der eine, der alle anderen übertraf: 20 Minuten, 40 Minuten, eine Stunde, 10 Stunden … und schließlich über 13 Stunden.

Er, Edison, ist sich dessen nicht bewusst, aber er schildert hier einen künstlerischen Prozess: Wo besteht hier noch ein Unterschied zu einem Bildhauer, der aus einem Steinblock ein Porträt schlägt? Der Künstler sieht in dem ungeformten Block bereits das Endergebnis, die Statue, das Bildnis, die Büste. Woher etwa wusste Edison, dass es ein Material gibt, das länger als ein paar Minuten durchhält? Oder dass es überhaupt ein Material gibt, das sich als Glühfaden eignet?

Die Mimik von Westinghouse, drückt all diese Fragen, während Edisons Monolog, sehr beredt aus. Nachdem Edison zu Ende gekommen ist, bemerkt Westinghouse: „Ich glaube, es könnte eine Lösung sein, wenn man die Kosten für den Zaun teilen würde. Oder wenn man ihn gar nicht erst errichtet. Ihr Garten wäre dann doppelt so groß, nicht wahr, Tom?“

Edison braucht lange, bis er darauf etwas erwidern kann, dann nickt er andeutungsweise, schließlich: „Es war mir ein Vergnügen. Genießen Sie die Ausstellung, George.“

Fazit: Die Glühlampe wird hier zu David, Edison zu Michelangelo. Und Westinghouse zu Lorenzo de Medici.

Replicas (USA 2018)

Der Film Replicas (Drehbuch: Chad St. John, Regie: Jeffrey Nachmanoff) hat zweifellos seine Schwächen, doch das erklärt den Flop, der er wurde, nur zum kleineren Teil. In den USA spielte der 30 Millionen Dollar teure Film nur magere 4 Millionen ein. Nach diesem US-Fiasko kam der Film in Deutschland erst gar nicht in die Kinos, sondern sofort in die DVD-Verwertung. Weltweit erreichte Replicas nur ein Einspielergebnis von 9 Millionen Dollar.

Die Zuschauer blieben also weitgehend aus, und die wenigen, die den Film gesehen haben, zeigten sich nicht begeistert. (Auf imdb.com erreicht der Film grade mal 5,5 von 10 Punkten.) Klonen und KI sind natürlich schwierige Themen, und der Film macht es einem auch nicht leicht. So verweigert er sich zum Beispiel einer klaren moralischen Aussage (was so manchen Kritiker irritierte). Allerdings bleibt unklar, ob Drehbuch und Regie das alles auch beabsichtigt haben oder sich einfach von ihrem Action-Plot treiben ließen …

Bionyne Industries, Arecibo, Puerto Rico. In die „experimentelle Forschungseinrichtung“ wird ein Polizist eingeliefert, gestorben bei einem Einsatz. Er wird vorbereitet für die Übertragung seines Bewusstseins in einen künstlichen Körper, sprich: in einen Robot (das heißt in dessen synthetisches Gehirn). Doch als der Geist des Polizisten im Robot-Körper erwacht, dreht er durch und reißt seinen mechanischen Körper in Stücke. Für den Neurowissenschaftler William Foster ist das nicht der erste Fehlschlag, auch wenn er diesmal etwas weitergekommen ist, denn der Robot hat, bevor er sich selbst zerlegte, immerhin ein paar Sätze gesprochen.

Kurz vor dem Fehlschlag …

Trotz dieses Fehlschlags wird er von Jones, dem Leiter der Einrichtung, mit herzlichen Wünschen an die Familie ins Wochenende geschickt. Bei dem familiären Ausflug geschieht dann das quasi Unvermeidliche: Der Wagen gerät von der Fahrbahn. Bei dem anschließenden Unfall sterben die drei Kinder samt ihrer Mutter; nur der Vater, William Foster, überlebt.

Und der überspielt, mithilfe Ed Whittles, seinem Assistenten (der sich bei allem, was er tut, sichtlich unwohl fühlt), den Geist seiner toten Familienmitglieder in (mobile) elektronische Speicher. Aber Foster will mehr: Er will seine Familie zurück. Daher klont er, in entsprechenden Tanks, die Toten, um das elektronisch gespeicherte Bewusstsein zu übertragen. Doch das ist ihm bisher – wie die Eingangssequenz des Films zeigt – nicht gelungen. Er hat 17 Tage Zeit, um dieses Problem zu lösen, denn so lange dauert es, bis die Klone ausgereift sind.

Durch Zufall kommt er – die 17 Tage sind abgelaufen – darauf, warum er bisher am Übertragungsproblem gescheitert ist. Er hat bereits die Todesspritze aufgezogen, um Mona, seine Frau, das heißt natürlich den Klon seiner Frau, der geistig leer, weil ohne Bewusstsein ist, zu töten, weil es ihm nicht gelingen will, des Übertragungsproblem zu lösen. Da klingelt sein Handy. Es ist Jones. Zufällig legt William während des Gesprächs, das im Übrigen belanglos ist, seine Hand auf die Monas. Worauf das EEG auf dem Monitor Wellen produziert. Er spielt sich – parallel zum Gespräch mit Jones – herum: hebt die Hand, senkt sie wieder auf die Monas. Immer wenn er Mona, das heißt ihren Körper (der über keinerlei Geist verfügt) berührt, reagiert das EEG.

Die Quintessenz daraus: „Wir haben die ganze Zeit an der falschen Stelle gesucht“, erklärt er Ed Whittle. „Es ist nicht das Gehirn und auch nicht der Verstand; es ist der Körper.“ Es läuft – dann doch etwas schlicht gedacht – darauf hinaus, dass das Problem der Übertragung „wie das Abstoßen eines Spenderorgans“ ist. Um ein Bewusstsein in ein Robot-Gehirn zu übertragen ist es demnach nötig, diesem Gehirn vorzugaukeln, dass es zu einem echten biologischen Körper aus Fleisch und Blut gehört. Und was Fosters Familie angeht: Da gibt es keine Probleme, da die Klone ja Körper aus Fleisch und Blut sind.

Es folgt der zweitschönste Moment des Films: William Foster erweckt seine Frau Mona zum Leben. Aber natürlich führt das auch zurück in die Anfangstage der Science Fiction: Victor Frankenstein benötigte die Energie des Blitzes, um sein Geschöpf – zusammengesetzt aus Leichenteilen, sozusagen die Frühform des Klonens – ins Leben zu holen, William Foster belebt Monas Körper, indem er ihn mit Bewusstsein füllt …

Womöglich erwartet der gemeine Kinogänger an dieser Stelle die üblichen, quasi unvermeidlichen Handlungsstränge, die in der Regel darauf hinauslaufen, dass der Klon, das menschliche Konstrukt, irgendwie zugrunde geht oder zumindest leidet … Aber nichts dergleichen. Der Film verweigert sich nicht nur, er wird sogar ironisch, indem er ein paar Klon-Witzeleien anbringt (und selbst die gröberen darunter sind noch amüsant).

Dennoch nimmt der Film „seine“ Klone ganz und gar ernst (vergleichbar mit dem ersten Film dieser Art: The 6th Day). Denn als sich William Foster gezwungen sieht, seine Frau Mona einzuweihen, ihr also zu sagen, dass sie ein Klon ist, wird das zum schönsten Moment des Films, vielleicht ein wenig kitschig, aber nicht allzu sehr: Mona, obgleich eine leise Träne fließt, umschließt seine Hand und – vertraut ihm; ganz und gar.

Wir müssen reden …

Danach wird’s hektisch, denn Mr. Jones, der von Anfang an Bescheid wusste, was im Hause der Fosters vorgeht, ist der Meinung, dass die „drei Probleme“, also Mona und ihre Kinder, sterben müssen. (Die Killer stehen schon bereit.) Einerseits wird der Film dadurch zum Actionfilm, andererseits verliert er dabei – überraschenderweise – nichts von dem, was ihn ausmacht.

In gewisser Weise findet er in dieser letzten halben Stunde sogar zu seinem Kern: Die Fosters – Vater, Mutter, 2 Kinder – laufen zur Höchstform auf. Sie tricksen und täuschen den Gegner, und können das nur, weil sie sich untereinander völlig vertrauen. Das funktioniert sogar, als sie den so zusagen letzten Schergen des Mr. Jones gegenüberstehen. Denn es sind die Fosters, die den Showdown überleben!

Fazit: Ein Liebes- und Familienfilm, der so tut, als sei er ein Techno-Thriller (eventuell ist es auch umgekehrt). Überraschend daran ist, dass es auch funktioniert (wie rum auch immer).

PS: Warum zuerst von drei, dann von zwei Kindern die Rede ist, gehört zum Plot des Films. (Vermutlich zu jenem Teil, der den Zuschauern übel aufgestoßen ist.)

REPLICAS Trailer deutsch

Apollo 11 (Doku, USA 2019)

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Harastos – bekennender Apollo-Fan – das Besondere an dieser Dokumentation bemerkte: Es gibt keine Off-Stimme, die das, was man sieht, erklärt oder kommentiert. Der Film zur Mission Apollo 11, die am 16. Juli 1969 von Cape Kennedy in Florida zur ersten bemannten Mondlandung aufbrach, besteht ausschließlich aus zeitgenössischem Bild- und Tonmaterial, darunter auch neues, bisher nie gesehenes Filmmaterial aus den (Un-)Tiefen des NASA-Archivs.

Todd Douglas Miller sichtete mit seinem Team Hunderte Stunden von Film-, Video- und TV-Aufnahmen, rund 11.000 Stunden Audio-Aufnahmen sowie Tausende von Standbildern und schnitt daraus einen 90-minütigen Kinofilm, der in Form einer Live-Reportage die drei Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins auf ihrem Weg zum Mond und wieder zurück begleitet.

Der Film beginnt – sehr eindrucksvoll – mit dem Transport der riesigen Mondrakete Saturn V vom VAB (dem Montagegebäude) zur Startrampe; die Rakete steht dabei senkrecht auf dem Crawler, dem (bis heute) größten Landtransportfahrzeug der Welt: Er misst 40 mal 35 Meter und wiegt über 2700 Tonnen (fast so viel wie die vollgetankte Rakete); die Höchstgeschwindigkeit beträgt 3,5 km/h, der Verbrauch liegt bei knapp 300 Liter Diesel pro Kilometer.

Das Kennedy Space Center mit VAB und Saturn V

Die folgenden 35 Minuten haben nur eine Hauptdarstellerin, um die sich alles dreht: die Saturn V. Zunächst gibt der Countdown den Rhythmus vor: Techniker checken noch die Systeme der Rakete durch; die Astronauten werden ihrerseits noch ein letztes Mal durchgecheckt, mit einem Fahrzeug zur Startrampe gebracht, wo sie dann mit dem Lift 100 Meter bis nach oben an die Raketenspitze zu ihrem Raumschiff fahren; schließlich werden sie im CM festgeschnallt. Die Zuschauer am Kap, teilweise schon Tage vorher mit der ganzen Familie angereist, bereiten sich jeder auf seine Art auf den großen Moment der Zündung vor. Auch im Pressezentrum beherrscht die meisten Reporter aus aller Welt der Gedanke an den historischen Moment der ersten Mission zu einem anderen Himmelskörper.

Nach 24 Filmminuten ist es so weit. Der Countdown geht in die letzten, explizit angesagten Sekunden. Er beginnt bei 12 – dann 11109 – und danach scheiden sich für gewöhnlich die Geister, die verstanden oder nicht verstanden haben, wie der Countdown einer Saturn V abläuft. Apollo 11 hat es verstanden. Nach der 9 folgt der (immer) vollständig ausgesprochene Satz Ignition Sequence starts – die Triebwerke zünden. Und das tun sie. Und wie sie es tun! Neun Sekunden feuern sie bis zum Liftoff, dem Abheben der Rakete (das bei Null erfolgt). Die fünf Triebwerke der ersten Stufe brauchen genau diese neun Sekunden, um den Schub aufzubauen, der nötig ist, um die knapp 3000 Tonnen, die die Rakete mit der gesamten Nutzlast wiegt, gegen die Erdschwerkraft zu starten.

Nach dem Ignition Sequence starts folgt im Film ein harter Schnitt: Völlige Stille; dann hebt sich in Superzeitlupe die Rakete in die Höhe. Das Bild bleibt zunächst auf die Triebwerke fokussiert, öffnet sich und zeigt die erste Stufe, dann die gesamte Rakete, die inmitten eines Flammen- und Rauchmeers weiter steigt. Man hört den Satz We have a ignition. Das Bild öffnet sich weiter: Von schräg unten sieht man der Rakete zu, wie sie zunächst den Tower passiert, dann weiter in den Himmel Richtung Mond fliegt.

In noch keinem Film zuvor – sei es Faction oder Fiction – hat harastos einen erhabeneren Raketenstart gesehen.

Durch das Fehlen von Kommentaren oder so genannter Talking Heads, erlebt man sich als Zuschauer (und -hörer) mitten in einer Live-Reportage aus dem Sommer 1969 … Und auch bei den weiteren Etappen der Mission hält der Film diese Als-wär-man-(aktuell-)mitten-drin-anstatt-nur-(später-)dabei-Perspektive durch: beim Einschuss in die Mondbahn, bei der Landung auf dem Mond, dem Ausstieg auf die Mondoberfläche, bei der EVA, dem Wiederaufstieg, dem Reentry, der Wasserung im Pazifik.

Steigert sich schon die erste halbe Stunde zu einem wahren Hymnus auf die Maschine – das heißt: auf die Maschine, nämlich die Saturn V –, erweitert das der Film im Folgenden zu einem Hymnus auf den Heldenmut der Astronauten, die Ausführenden, und der Techniker, die ihnen das erst ermöglichen, kurzum: auf den menschlichen Forschergeist (auch die menschliche Abenteuerlust), auf das, was möglich ist, wenn man sich nur dazu entschließt.

Apollo 11 konzentriert sich auf das Beste im Menschen, auf das, was aus ihm hätte werden können, wenn er sich nicht – im Gefolge der 60er – selbst kasteit und kastriert hätte, indem er sich aus der wirklich großen Raumfahrt verabschiedete, um sich auf den (vermeintlich) billigeren Erdorbit zu beschränken. Ja, das Apollo-Programm war teuer und hatte keinen unmittelbaren Nutzen (aber mittelbar machte Apollo zum Beispiel die IT-Branche erst zu dem, was sie bis heute ist). Und der zeitgleich stattfindende Vietnamkrieg kostete (mindestens) das Vierzigfache und hatte weder einen unmittelbaren noch einen mittelbaren Nutzen …

Fazit: Ein Hohelied in Bildern und Tönen auf die menschliche Größe.

Ad Astra

Der Film Ad Astra (USA 2019, Regie: James Gray) beginnt mit einem kurzen Audio-Abriss, den Major Roy McBride zu Protokoll gibt und der zur Beurteilung seiner momentanen psychologischen Eignung für den anstehenden Routine-Einsatz dient: „Ich bin ruhig, stabil, habe gut geschlafen, 8,2 Stunden, keine Alpträume. Ich bin startbereit, bereit, meinen Job so gut zu machen, wie ich kann. Ich konzentriere mich auf das Wesentliche, und blende alles andere aus.“ Begleitet werden die Sätze mit Bildern seiner Frau, die gerade dabei ist, ihn zu verlassen. „Ich treffe nur pragmatische Entscheidungen. Ich erlaube es mir nicht, mich ablenken zu lassen. Ich erlaube es mir nicht, mich mit Dingen zu beschäftigen, die unwichtig sind. Ich werde mich auf nichts und Niemandem verlassen. Ich lasse mich nicht von Fehlern verunsichern.“ Die Tür schlägt hinter seiner Frau zu. Er schließt: „Ruhepuls ist bei 47.“

Am Ende des Films – nach einer Mission, die ihn auf der Suche nach seinem Vater und der Antwort auf eine große Frage der Menschheit bis an den Rand des Sonnensystems hinausgeführt hat – wiederholt er diese Sätze in abgewandelter Form: „Ich bin stabil, ruhig. Ich habe gut geschlafen, keine Alpträume. Ich bin aktiv und engagiert. Ich bin mir meiner Umgebung und den Menschen in meinem direkten Umfeld bewusst. Ich bin aufmerksam. Ich konzentriere mich auf das Wesentliche und blende alles andere aus.“ Seine Frau erscheint, offenbar gewillt, es noch einmal mit ihm zu versuchen. „Ich bin unsicher wegen der Zukunft, aber ich mache mir keine Sorgen. Ich verlasse mich auf die, die mir am nächsten sind. Und ich werde ihre Last tragen, so wie sie meine tragen. Ich werde leben und lieben …“

In den fast zwei Stunden, die zwischen diesen beiden Sequenzen liegen, versucht der Film, die persönliche Entwicklung des Major Roy McBride vom eisenharten, pflichtbewussten, beinahe besessenen Astronauten hin zu einem Astronauten, der mehr ist als ein Technokrat, mit einer anderen, umfassenderen Geschichte zu verbinden, nämlich mit der Suche nach einer Antwort auf eine der großen Fragen der Menschheit: Gibt es außerirdisches Leben?

Hier kommt H. Clifford McBride, der Vater Roys, ins Spiel. Er ging den Weg des besessenen Astronauten, der für die Wissenschaft alles andere opfert, konsequent zu Ende. Vor 29 Jahren startete er mit der Lima Project ins äußere Sonnensystem, um dort, jenseits der Heliopause, „sämtliche Sternensysteme nach komplexen Lebensformen zu untersuchen“. Nach 16 Jahren ging der Kontakt verloren; niemand hörte mehr etwas von McBride Senior oder der Lima Project.

Jetzt erfährt McBride Junior, dass sein Vater noch lebt und dass sich die Lima Project in der Nähe des Planeten Neptun befindet. Vor allem aber, dass sein Vater keineswegs der Held ist, als den er ihn bisher immer gesehen hat. Als die Besatzung der Lima Project dem wissenschaftlichen Ziel der Mission nicht mehr folgen konnte oder wollte, sah sich McBride Senior gezwungen, gegen die „Meuterer“ vorzugehen und ihnen die Lebenserhaltung abzuschalten. Keiner überlebte.

Das wirft Roy McBride so sehr aus der Bahn, dass er seinen eigentlichen Auftrag – per Funk Kontakt mit seinem Vater aufzunehmen – in den Wind schlägt; eigenmächtig kapert er ein Raumschiff (auch dabei bleiben, wie bei seinem Vater, Tote zurück), um persönlich mit seinem Vater in Kontakt zu treten, herauszufinden, was er da draußen gefunden, was ihn möglicherweise gebrochen hat.

Es folgt eine Reise sowohl ins Innere, in die persönliche Finsternis, als auch ins Äußere, an die Grenzen des Sonnensystems und der Erkenntnis. Das hört sich nach großem Kino an. Was der Film auch sein will. Und so beginnt er sogar: Optisch ist der erwähnte Routine-Einsatz zu Beginn tatsächlich ganz großes Kino. Und optisch bleibt der Film auch  auf sehr hohem Niveau, wenngleich, wie ja häufig, mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten recht großzügig umgegangen wird.

Leider kann das Drehbuch dieses Niveau bei weitem nicht erreichen. Es will alles, greift dabei aber, wie Dietmar Dath (hier) schreibt, „zu weit ins Leere“. Es ist schon fast peinlich, dass es einem Film, der sich die Wandlung des kalten Technokraten zum mitfühlenden Menschen zum Thema gemacht hat, nicht gelingen mag, das auch überzeugend rüberzubringen. Der Hauptdarsteller bleibt in entscheidenden Momenten begrenzt, ja schon fast gefangen im bloßen Heruntersprechen von Off-Texten. Und selbst die große Frage – obwohl sie, und das sogar radikal, beantwortet wird – geht darüber beinahe verloren.

Fazit: Ein schwaches Drehbuch, fulminant bebildert.

Alle Daten zum Film hier (englisch)

Aufbruch zum Mond

Auf die Frage eines Mitglieds des Ausschusses zur Rekrutierung der Gemini-Astronauten, warum er die Raumfahrt für bedeutend halte, antwortet Neil Armstrong: „Ich weiß nicht, was uns die Weltraumforschung für neue Erkenntnisse bringt, aber keinesfalls wird es nur eine Forschung um der Forschung willen sein. Ich denke, es wird darum gehen, dass wir dadurch Dinge sehen, die wir vielleicht schon längst hätten sehen sollen, aber uns bisher einfach verschlossen waren.“ (Minute 17f.)

(c) Universal

Die großen Fragen der bemannten Raumfahrt behandelt der Film Aufbruch zum Mond (fast ausschließlich auf ganz persönlicher Ebene und konzentriert sich dabei auf einen Astronauten: Neil A. Armstrong, der vor 50 Jahren als erster Mensch den Mond betrat. Geboren wurde Armstrong am 5. August 1930 in Wapakoneta, Ohio. Zu einer Zeit, als der erste Nonstop- und Alleinflug über den Atlantik gerade drei Jahre zurücklag; in Berlin war ein paar Monate zuvor ein gewisser Wernher von Braun zum Team um Rudolf Nebel gestoßen, einem Team, das auf dem Raketenflugplatz Berlin erste Experimente mit Flüssigtreibstoffraketen anstellte. (Wernher von Braun, der heute gern Verschwiegene, wird im Film immerhin einmal namentlich erwähnt, als „von Braun“ in Minute 16.)

Bereits die erste Sequenz offenbart die Stärken und Schwächen des Films. Armstrong, wir schreiben das Jahr 1961, absolviert mit der legendären X-15 einen Stratosphärenflug, gerät dabei in Schwierigkeiten, schafft es aber doch noch zu verhindern, dass er im unendlichen All verloren geht. Es wird kaum gesprochen, die Musik setzt spät ein und bleibt zurückhaltend; den Rhythmus und auch die Dramatik verleiht der Szene die Kameraführung und die Geräuschkulisse. Die Geräusche, sehr dominierend und laut, aber gut durchgezeichnet, repräsentieren die Technik. Die menschliche Seite, den Piloten Armstrong, erlebt man fast durchweg in Großaufnahmen. Dadurch ist man beidem, der Technik wie dem Menschen, sehr nahe.

Die Schwäche dieser Sequenz – die die Schwäche des gesamten Films ist, und die ihn am Ende, als Ganzes, auch scheitern lässt – wird zunächst überdeckt von den optischen wie akustischen Reizen, denen das Gehirn des Zuschauers ausgesetzt ist (vor allem, wenn es in einem IMAX sitzt). Aber bald wird es nervig: Die Geräuschkulisse, die mit viel Aufwand inszeniert wurde, um spürbar zu machen, dass der Pilot, will er die Technik beherrschen, sich ihr zunächst auszuliefern hat, passt nicht zu dem, was man sieht, nämlich Mensch und Maschine im Grenzbereich. Es klingt überhaupt nicht dramatisch, sondern bloß wie ein blechernes Spielzeug, dessen Batterien gerade dabei sind, den Geist aufzugeben.

Doch vergisst oder verzeiht man das dem Film zunächst, weil er in der kommenden Stunde zur Hochform aufläuft. Er schildert, und ist darin tatsächlich „absolut ehrlich“, wie Ulrich Walter (hier) schreibt, den Alltag von Astronauten zwischen Testflügen, Schulbank und Familie. Er geht dabei „sehr nahe an die Menschen heran“, so Walter weiter. „Man sieht in langen Sequenzen nur Gesichter und ihre Mimik. Es geht darum, was die Menschen in den extremen Situationen der Raumfahrt erleben und fühlen und das tut der Film mit akribischer Präzision.“

Akribisch präzise, bis nah an die Schmerzgrenze, ist der Film auch in der psychologischen Charakterisierung der Hauptfigur. Am deutlichsten wird das in einer Sequenz, die den Film Apollo 13 (USA 1995, Regie: Ron Howard) zitiert:

In Apollo 13 findet man nach dem Ende der Mondlandeparty Jim Lovell mit seiner Frau Marilyn im heimischen Garten; beide sind leicht beschickert. Lovell misst mit vor die Augen gehaltenem Daumen die Größe des Mondes, der am nächtlichen Himmel steht. Er schwingt eine Rede zum allgemeinen Lob der Raumfahrt, die in dem Satz gipfelt: „Von jetzt an leben wir in einer Welt, in der der Mensch den Mond betreten hat.“ Es folgen ein paar Schäkereien der beiden, was schließlich in ehelichem Sex endet, also in einem, sozusagen, kommunikativen Akt.

In Aufbruch zum Mond verlässt Armstrong nach der Beerdigungsfeierlichkeit für Elliot See, einem Astronautenkollegen, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist, das Haus. Allein steht er im Garten und vermisst – mit einem Sextanten – den Mond am nächtlichen Himmel. Nach einigen Minuten folgt ihm Ed White, der Astronaut, der ihm am nächsten steht, und spricht ihn mit einem männlich-verlegenen „Na, Kumpel!“ an. „Willst du dich nicht mal um Jane kümmern? Deine Kinder ins Bett bringen? Ihnen noch was vorlesen? Gerade in solchen Zeiten …“ Armstrong lässt vom Sextanten ab und wendet sich langsam White zu: „Denkst du“, sagt er, „ich stehe hier draußen im Garten, weil ich mich unterhalten will, Ed?“ White ist düpiert. „Denkst du“, fährt Armstrong fort, „ich bin da abgehauen, weil ich mit jemandem reden will?“

„Genau so war Neil Armstrong“, meint Ulrich Walter. „Ein hervorragender Jet-Pilot mit fingerdicken Nerven, der nur wenig redete und seinen Empfindungen kaum Ausdruck geben wollte. Diese Vorzüge, die ihn zum ersten Menschen auf dem Mond machten, führten seine Familie an den Rand des Abgrundes. Auch diese Geschichte erzählt der Film detailgetreu und genau darin liegt seine Stärke.“

(c) Universal
Auf dem Weg zum Mond

Die Schwächen des Films kulminieren – ausgerechnet – in der letzten von drei ausführlich geschilderten Missionen, nämlich in der Mondlandung (Apollo 11), die ja den Höhepunkt des Apollo-Projekts und des Lebens von Neil Armstrong darstellt.

Die Sequenz beginnt mit einer durchaus beeindruckenden Totalen der Mondrakete Saturn V am Launch Pad. Auch die Musik und die Geräusche (diesmal dezenter als sonst üblich) sind für sich genommen überzeugend. Als Ganzes bleibt der doch eigentlich grandiose Start der Superrakete (man denke an Apollo 13) seltsam „breiig“, ohne Kontur und Dramaturgie; dass da gerade die Menschheit – oder auch „nur“ drei Exemplare derselben – zu einer anderen Welt aufbricht, teilt sich in keiner Sekunde mit.

Und es kommt noch schlimmer. Als das Raumschiff am Mond ankommt und das LOI absolviert, das Manöver zum Einschuss in einen stabilen Mondorbit, tritt wieder die Technik in den Vordergrund, was der Film wie üblich mit enormer Geräuschpower deutlich macht. An der auch diesmal nichts stimmt. Das Ganze klingt wie eine altersschwache Diesellok, die marod kreischende Waggons über ein verrottetes Schienenbett mit morschen Schwellen und durchgerosteten Gleisen schleppt. Und das minutenlang und mit unglaublichem Schallpegel!

Selbst das lässt sich aber noch unterbieten: Im Andenken an den frühen Tod seiner Tochter – der im Film immer wieder als Gegenpart zur allgegenwärtigen Technik ins Spiel gebracht wird – wirft Armstrong nach der Landung auf dem Mond ein Kettchen dieser Tochter in einen Mondkrater. Dass das frei erfunden ist – geschenkt. Dass das eine unglaublich kitschige Szene ist – auch geschenkt. Nicht geschenkt hingegen ist, dass der Film sich mit dieser Szene praktisch verrät, als hätte er es plötzlich mit der Angst zu tun bekommen, Armstrong bisher zu hart gezeichnet zu haben. In dieser Szene gilt nicht mehr Ehrlichkeit als Devise – sondern Verbeugung vor einem kitschverwöhnten Publikum.

Fazit: Ein Film, der – einerseits – den Alltag von Astronauten zwischen Testflug, Schulbank und Familie sehr glaubwürdig schildert. Aber auch ein Film, der sich andererseits seltsame „Aussetzer“ leistet: eine Klangspur, die selten zu dem passt, was sie „untermalt“; peinliches Abdriften ins Kitschige statt dramaturgischer Höhepunkt am Ende. – Unter Profi-Kritikern überwiegen allerdings die positiven Stimmen; Ulrich Walter, Ex-Astronaut der ESA, ist da schon etwas deutlicher; am deutlichsten wird man bei robots-and-dragons.de, deren Fazit lautet: „Leider überambitioniertes und an diesen Ambitionen scheiterndes Astronautendrama …“

Die Zitate stammen wörtlich aus der deutschen Synchro des Films.
Das Zitat Jim Lovells („Von jetzt an …“) stammt wörtlich aus der deutschen Synchro des Films Apollo 13 (Übersetzung Tobias Meister).
Cast & Crew von First Man (so der Originaltitel des Films) gibt es hier (englisch).