Der Wettlauf zwischen den USA und der Sowjetunion, wer den ersten Satelliten ins All schießt: das ist Thema der zweiteiligen Graphic Novel Gefährliches Spiel. Dazu gibt es zweifellos nichts Neues mehr zu sagen, aber als Hintergrund für eine spannende Spionagegeschichte, wie sie der Klappentext beider Bände ankündigt, eignet sich dieses Szenario des Kalten Krieges gegen Ende der 1950er Jahre hervorragend.

Gefährliches Spiel (Band 1 + 2)
Jeu des Dames
Text: Toldac
Zeichnung: Philan
Coloration: Scarlett Smulkowski
Deutsche Übersetzung: Annabelle Steffes-Halmer
Verlag: Panini
Erschienen im März 2017 (Bd. 1) und September 2017 (Bd. 2)

Schon der erste Satz, der nur dazu dient, den Ort einzuführen, wo alles begann, lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob das gut geht: „Peenemünde, Juni 1943“, heißt es da, „Heeresversuchsanstalt … für die Raketen V1 und V2 unter Leitung von Wernher von Braun.“ V2 war eine Rakete, lief aber im Juni 1943 noch unter anderer Bezeichnung. Die V1 aber war keine Rakete, sondern das, was man heute eine autonome Drohne nennen könnte: ein Flugkörper mit Antrieb und automatischer Zielerfassung, gefüllt mit einer Tonne Sprengmittel. Nun ja, das sind Details, die nicht wirklich interessieren müssen. Außerdem, und das ist das Tröstliche: Beide Maschinen, V1 wie V2, wurden von Rückstoßtriebwerken angetrieben. Seien wir also großzügig und lassen den Ausdruck „Raketen“ durchgehen.
Das erste Bild, das zum ersten Satz gehört, zeigt – in Halbtotale – Wernher von Braun und Hugo Ebeling (den Helden der Story). Hugo sagt: „Tut mir Leid, Wernher …“ Im Vordergrund sieht man links ein Aggregat 4 (wie die V2 im Juni 1943 noch hieß), an dem sich ein Techniker zu schaffen macht. Der Maschinenraum ist geöffnet. Die Leiter, auf der der Techniker steht, verbreitet schon ein bisschen viel an simplem Heimwerker-Charme. Das ist nicht falsch. Trifft es aber auch nicht so ganz.
Im zweiten Bild sehen wir dann Wernher von Braun in Großaufnahme. Er beschwört Hugo, doch zu bleiben, weil er einer der Besten sei und so weiter. Und das gezeigte Gesicht hat, wenn auch nicht ganz bestimmbar, durchaus etwas vom jungen von Braun …
Im Hintergrund sieht man, wie Uniformierte Häftlinge drangsalieren. Sowohl die Uniformierten als auch die Häftlinge sind sehr unspezifisch gezeichnet. Von Braun will wissen, warum Ebeling ihn verlassen will. Ebeling deutet nur auf die Szenerie und sagt in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen: „DAS!“
Ebeling verlässt Peenemünde und geht in den Widerstand. In den letzten Tagen des Deutschen Reiches lernt er Eva kennen; in einer Kirche schwören sie sich im April 1945 „ewige Treue“. In den Wirren des Untergangs kommt sie, so jedenfalls scheint es, bei einem Bombenangriff ums Leben (bei dem er selbst etliche Granatsplitter abbekommt).
Sprung ins Jahr 1955. Ort: Das Redstone Arsenal in Huntsville, Alabama, wohin das Wernher-von-Braun-Team mittlerweile umgezogen ist; von Braun selbst hat erst vor wenigen Wochen die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten. Und Hugo Ebeling, nach 1945 von der US Army angeworben, arbeitet dort seit einigen Jahren wieder unter von Braun.
Der Klappentext des 1. Bandes stellt diesen Umstand – Ebeling, der als ehemaliger Widerstandskämpfer erneut für Wernher von Braun arbeitet – besonders heraus. Bietet sich ja auch an, anhand zweier Personen, ehemaliger Freunde, die zwar altbekannte, aber stets aufs neue fesselnde Geschichte von Loyalität und Verrat zu erzählen. Seltsamerweise geschieht das hier nicht (der Klappentext läuft damit quasi ins Leere). Bruchlos pflegen sie ihre Freundschaft weiter. Von Braun unterstützt Ebeling sogar, als dieser – im Laufe der weiteren Handlung – ins Visier der CIA gerät.
Die technischen Entwicklungen hin zum ersten Satelliten werden im Schnelldurchgang, aber stets durch ein paar kleine szenische Dialoge dargestellt: Da erfährt von Braun, dass das Vanguard-Projekt dem seinen vorgezogen wird, was ihn zu der Bemerkung veranlasst: „Aber das werden sie noch bedauern, da bin ich mir sicher.“ Oder, ein Jahr später: Von Braun informiert Hugo darüber, dass sie ihre Rakete nicht mit einer aktiven vierten Stufe starten dürfen. Eine Anspielung auf September 1956, als Huntsville bereits so weit war, einen Satelliten (einen sehr kleinen allerdings) in den Orbit zu schießen – mehr als ein Jahr vor Sputnik! -, was aber an den Rivalitäten zwischen Navy (Marine) und Army (Heer) scheiterte.
Alles in allem entspricht das alles auch dem tatsächlichen Ablauf der damaligen Ereignisse. Zu bekritteln gibt es allenfalls ein paar Details. Etwa die Behauptung, Vanguard sei aus patriotischen Gründen dem (von Braun’schen) Redstone-Projekt vorgezogen worden; das ist zwar nicht ganz falsch, doch ist es auch einen Tick zu einfach gedacht: Die Amerikaner wollten im Rahmen des zivilen Geophysikalischen Jahres keine Rakete als Satellitenträger, die offensichtlich militärische Wurzeln hatte. Davon betroffen war nicht nur die Redstone, sondern auch das von der amerikanischen Luftwaffe vorgestellte Atlas-Projekt, weil die Atlas-Rakete ursprünglich ebenfalls als militärischer Träger entwickelt worden war. Das Vanguard-Projekt lief zwar unter dem Dach der Marine, doch hatte die Rakete gleichsam keine militärische Vergangenheit und wurde deshalb vorgezogen.
Die wirkliche Stärke der zwei Bände liegt aber in der vom Klappentext versprochenen Spionagegeschichte. Sie wird in der zweiten Hälfte des ersten Bandes quasi unauffällig und peu à peu aufgebaut, kulminiert am Ende dann in einer Explosion, bei der eine der Hauptfiguren ums Leben kommt. Der zweite Band legt den Schwerpunkt dann ganz und gar auf die Spionagegeschichte. Raketen und Raumfahrt treten dadurch in den Hintergrund (was man bedauern mag, aber nicht muss), der Story aber tut das durchaus gut. Sehr stringent wird, betont durch den realistischen Zeichenstil (und die sehr stimmige Farbgebung), ein Plot durchgezogen, der zwar nicht wirklich originell sein kann – dazu sind die Spione der 50er Jahre literarisch und filmisch einfach zu sehr „abgegrast“ -, der aber immer genügend Verwicklungen bietet, um bis zum Ende dabeizubleiben.