Sogar die Schadprogramme haben Schadprogramme.
Daniel Grummitz
CSI: Cyber ist die vierte Serie des CSI-Kosmos und mittlerweile, nachdem die drei anderen eingestellt wurden, die einzige Serie, die diesen Kosmos, der das US-amerikanische Fernsehen die letzten 15 Jahre dominiert hat, repräsentiert. Der Titel sagt schon, dass man diesmal nicht einfach die Stadt gewechselt, aber ansonsten dem Herumwühlen in Leichen zum Zwecke der Überführung des Täters treu geblieben ist, sondern dass man den Begriff Tatort (Crime Scene) ins Virtuelle erweitert hat. Dass die Serie mit der Darstellung des Virtuellen Glaubwürdigkeitsprobleme hat, wurde schon an zahlreichen anderen Stellen gesagt (etwa hier). Dass sie noch weit Schlimmeres bietet als Unglaubwürdiges aus dem Hacker-Leben, darüber hört man wenig bis nervig Beschönigendes (wie das), und deshalb soll im Folgenden genau davon die Rede sein.
Jede Episode (der insgesamt 13 der ersten Staffel) ist klar gegliedert: Es beginnt mit einer kurzen Exposition, die die „analogen“ Auswirkungen des dahinter liegenden Cyber-Verbrechens zeigt — Mord, Entführung, Babyhandel, Erpressung, Mobbing, Brandstiftung, Kreditkartenbetrug und so weiter. Danach folgt eine Steigerung, die den Fall so weit ausweitet, dass er ein Fall wird für die Cyber Crime Division, verbunden häufig mit einer weiteren Steigerung, die den Ernst der Lage verdeutlicht. Nach der Titelelei, unterlegt mit (wie bei den anderen CSI-Serien) einem Song der Who: I can see for Miles (1967), folgt dann weiß auf schwarz die Schrifteinblendung, die einem das eigentliche Cyber-Verbrechen der jeweiligen Episode (samt kurzer Erklärung) mitteilt, das hinter dem ganzen analogen Mord und Totschlag steckt, zum Beispiel: phishing, spoofing, botnet. Damit ist dann schon bis zu einer Viertelstunde einer insgesamt 40-minütige Episode vorbei.
Und häufig genug auch der beste Teil. Immer — wirklich in jeder einzelnen Episode — artet das Ganze schnell aus in einer simplen Täterhatz mit viel Gerenne, Gehetze, Waffenherumgefuchtel. Das Geschehen im Cyber Threat Operations Center, die Zentrale der Cyber Division, wird zu einer Art Stichwortgeber degradiert für die Action in der realen Welt. Und die läuft stets in vorhersagbaren Klischeebahnen ab — von der Waffe im Anschlag bis zu den Sprüchen (in immer anderen Kombinationen): FBI! Runter auf den Boden! Auf die Knie! Ich will Ihre Hände sehen! Zeigen Sie Ihre Hände!! Das alles ist schon schlimm genug, aber übertroffen (soll heißen: unterboten) wird es noch durch die Art der Täter, die uns in jeder Episode präsentiert wird.
Es sind immer — IMMER — einzelne, völlig isoliert agierende Psycho- und Soziopathen. Die Serie ist geradezu besessen von Psychopathen (wie mittlerweile ja die gesamte Krimi-Szene, nicht nur in den USA). In immer neuen Variationen treibt er (seltener sie) sein/ihr böses individualistisches Spiel. Und Avery Ryan, Leiterin der Cyber Division und ehemalige Psychotherapeutin, die aufgrund einer Cyberattacke ihre Praxis aufgeben musste, liefert dazu die nötigen, meist mehr oder weniger schlichten psychologischen Erklärungen: „Er [der Täter] ist ein Voyeur. Jemand, der ein Interesse daran hat, Unglücke zu inszenieren, um einen Lustgewinn zu erreichen. Eine Paraphilie. Eine Erregung durch das Leiden anderer. Wir nennen so etwas auch Gore Porn. Man will Zeuge von Massakern werden. Sie dokumentieren und anderen geben, damit sie sich daran erregen.“ (Episode 2) Oder, in einem Verhör: „… dass Sie ein Pyromane sind, der Feuer legt, um so sexuelle Befriedigung zu erhalten. Aber im Gegensatz zu anderen, die das tun, sind Sie zu feige, um es selbst zu machen. Also nutzen Sie Ihre Computer-Kenntnisse und tun es aus der Entfernung.“ (Episode 4). Oder auch, wieder in einem Verhör: „Wissen Sie, welcher Typ Man nur Beziehungen mit Frauen haben kann, die er gefangen hält? Der Mann, der keine Frauen für sich gewinnen kann. Der Typ Mann, der Angst vor Frauen hat.“ (Episode 8) Und so weiter. Vorgetragen werden diese Statements in einem monoton-robotischen Stil, als wäre Avery Ryan selbst einer der von ihr beschriebenen Psychopathen …
Das Internet wird ständig und ausschließlich als virtueller Ort geschildert, wo sich vor allem Leute mit „abartigen Interessen“ finden. Dort fallen sie nicht auf, denn „wenn sie sich [im Internet] begegnen, wirkt ihr Verhalten normal. Sie stärken einander.“ (Episode 2) Auf die Spitze getrieben wird die individuell pathologische Sichtweise der Serie sowie die Vorstellung vom Internet als Hort des Bösen in der 11. Episode.
Auf der Cyber-Ebene geht es um game transfer phenomena, also um das (angeblich häufige) Phänomen, dass Gamer ihre online-Fantasien nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden können. Es beginnt mit einem Jungen, der ein Päckchen, bevor er es dem Adressaten vor die Tür legt, öffnet und dabei durch einen versehentlich ausgelösten Schuss aus der darin verpackten Waffe getötet wird. Der Junge war exzessiv in der Ego-Shooter-Szene aktiv. Und Avery Ryan verkündet auch gleich ihre Ansichten über online-Gaming: „Die Online-Spielewelt ist ein Zufluchtsort für Perverse, Pädophile, Sexualstraftäter und Radikale. Sie verstecken sich hinter Nicknames und erschleichen sich das Vertrauen der Jugendlichen.“ Über ein online-Spiel hat sich natürlich auch ein gewisser Viper75, der mehrere Morde plant, an den Jungen rangemacht. Er benutzte ihn dazu, sich eine Waffe in die Nähe des Tatorts bringen zu lassen.
Noch ärger wird’s, wenn eine der Figuren Whistleblower wie Edward Snowden (der namentlich genannt wird) indirekt dafür verantwortlich macht, Ermittlungen im Netz zunehmend zu erschweren. Nicht auszuschließen, dass Snowden sogar zu den oben erwähnten Radikalen gezählt und damit mit Gewalttätern in einen Topf geworfen wird. Hier wird das staatstragende Geschleime der Serie wahrhaft auf die Spitze getrieben.
Fazit 1: Der Psycho-/Soziopath wird dazu benutzt, um allem Gesellschaftlichen konsequent aus dem Weg zu gehen. Der Schrecken ist hier nicht Teil der Welt – selbst Psychopathen agieren nicht im luftleeren Raum -, sondern kommt aus irgendwelchen isolierten Gehirnregionen.
Fazit 2: Wenn uns CSI etwas gelehrt hat, dann dass sich in den noch folgenden Staffeln nichts bessern wird. Und das Wenige, das der Alienator bisher von Staffel 2 gesehen hat, bestätigt das auch: Der Scheiß geht weiter. Hoffentlich werden’s nicht auch hier 15 Staffeln — eine grauenvolle Vorstellung!
Nachtrag (und Happy End): Die Serie wurde mangels Quote nach der zweiten Staffel abgesetzt.