Im Laufe der Episode erfahren wir, dass der Borg-Kubus (der in der letzten Szene der 1. Episode auftauchte) ein Untersuchungsprojekt der Romulaner darstellt; sie nennen es „Das Artefakt“. Es hat keine Verbindung zu den Borg; es ist tot; für die Borg ist es nichts anderes als für Menschen ein Friedhof. Dass das nicht unbedingt zur Beruhigung taugt, zeigt der Beginn der 2. Episode von Star Trek: Picard.

Rückblende ins Jahr 2385. Standort: Mars, Utopia-Planitia-Flottenwerft. Wir sind dabei, wie die Androiden die Flottenwerft zerstören (was in der 1. Episode nur erwähnt worden ist). Das Beunruhigende offenbart sich in Minute 4: Es ist ein auf heutige Filmtechnik upgegradetes Zitat einer entsprechenden Szene aus TNG (S02E16; Minute 22). Vergleicht man die beiden Szenen, weiß man, mit wem die abtrünnigen Androiden da im Bunde stehen …
Natürlich nur, wenn man mit TNG vertraut ist, denn die Episode erzählt „im Vordergrund“ eine andere Geschichte: Picard hat sich ganz und gar der Sache der Androiden verschrieben. Er beabsichtigt, Bruce Maddox ausfindig zu machen, den Wissenschaftler, der – so seine Überzeugung – hinter der Konstruktion von Dahj steht, die (zusammen mit ihrer Schwester Soji) eine neue Art von Androiden darstellt; sie beruht auf der Gehirnmatrix von Data. Dazu braucht Picard jedoch ein Raumschiff.
Er sucht also das Sternenflottenkommando auf, um darum zu ersuchen, ihm ein „kleines, warpfähiges Aufklärungsschiff“ zur Verfügung zu stellen. Leider hat er nicht viel mehr anzubieten, als eben seine Überzeugung, Maddox schlachte gewissermaßen Data aus. Seine Bemerkung, dass die Romulaner „irgendwie“ darin verwickelt seien, macht ihn nicht glaubwürdiger. Kurzum: Das Sternenflottenkommando, in persona eines Admirals, die ihm gegenüber sitzt, lehnt seinen Antrag ab. Es fallen dabei sehr harte Worte. Sie, der Admiral, wirft ihm Realitätsferne vor, spricht von einer „grenzenlosen Anmaßung“, überhaupt so einen Antrag zu stellen, und bezeichnet ihn, bevor sie ihn quasi rauswirft, als „einstmals großen Mann“, der derzeit leider nur noch von „Geltungssucht erfüllt ist“.

Im Kern geht es in der Auseinandersetzung um Moral versus (Real-)Politik. Picard steht auf Seiten der Moral: Es war ein Verbrechen der Föderation, die Romulaner in ihrer schwersten Stunde im Stich zu lassen. Wir alle – Alt- wie Neu-Trekkies – sind (natürlich) auf seiner Seite. Ohne Wenn und Aber; die Ideale der Föderation sind unantastbar, denn „die Föderation entscheidet nicht darüber, ob eine Spezies lebt oder stirbt“ (Picard, Minute 23). Dagegen kann sie, der Admiral, kaum ankommen, steht von Anfang an (gegen uns) auf verlorenem Posten.
Obgleich sie durchaus eine Menge ins Feld zu führen hat: „Die Romulaner waren unsere Feinde, und wir haben ihnen geholfen, so lange wir konnten. Aber selbst vor dem Angriff der Androiden auf dem Mars, haben 14 Spezies in der Föderation gesagt, überlasst die Romulaner sich selbst oder wir sind draußen. Wir mussten uns entscheiden: Die Zukunft der Föderation riskieren oder die Romulaner zurückweisen.“ Es folgt Picards Einwand, dass die Föderation nicht über Leben oder Tod von Spezies zu entscheiden habe. „Doch“, erwidert darauf der Admiral knallhart, „das tun wir: Das müssen wir sogar tun. Tausende anderer Spezies sind darauf angewiesen, das wir für Einheit sorgen, für Zusammenhalt. Damals hatten wir nicht genügend Schiffe – wir mussten eine Wahl treffen.“
Picard kann das (wie vermutlich die meisten von uns) nicht akzeptieren. Es folgen noch ein paar sehr hässliche Worte & Ausdrücke, auf beiden Seiten, die schließlich in seinem Rausschmiss kulminieren.
Die Kernszene der Episode – die Auseinandersetzung zwischen Picard und dem Admiral der Föderation (Minute 21:40 bis 24:20) – scheint Picard in Allem Recht zu geben. Der Admiral kommt kalt, berechnend, karrieristisch (und so weiter) rüber; er spricht kalt, rational, imperialistisch (und so weiter). Während Picard, der nur wenig älter ist als sein Gegenüber, für eine gute Sache (die der Androiden) brennt, verteidigt der Admiral – wie langweilig! – nur die Position der Herrschenden.
Aber bevor es zur Begegnung zwischen Picard und dem Admiral der Föderation kommt, greift die Episode zu sehr feiner Ironie, die den moralischen Sieg, den Picard in Kürze erringen wird, ein wenig relativiert. Denn die Anwürfe des Admirals, Picard sei anmaßend und so weiter, gewinnen durch die kleine Szene an Glaubwürdigkeit (und damit auch die Position, die die Föderation vertritt).
Picard betritt das Gebäude der Sternenflotte und tritt an den Empfang. Ohne seinen Namen zu nennen, sagt er, dass er einen Termin mit dem Sternenflottenkommando habe. In Benehmen und Miene drückt sich aus, dass man ihn zu kennen und sofort vorzulassen habe. Doch der junge Schnösel hinter dem Tresen erkennt ihn nicht. Picard muss nicht nur seinen Namen nennen, sondern ihn auch noch buchstabieren, um einen Besucherausweise zu erhalten. Ein wenig pikiert macht er sich auf den Weg ins Büro des Admirals.
Fazit: Nach wie vor gilt: Das könnte die beste Star-Trek-Serie werden, die wir je gesehen haben.
Und noch einen zum Schluss: Als Picard bei der Begegnung mit einer Wissenschaftlerin sieht, wie diese das Buch The Complete Robot von Isaac Asimov zuschlägt, bemerkt er: „Ah, Sie haben einen Sinn für Klassiker.“ Und beinahe entschuldigend erklärt er: „Ich habe mich nie wirklich für Science Fiction interessiert. Irgendwie“, fügt er hinzu, und deutet dabei den blasierten Intellektuellen an, „finde ich keinen Bezug dazu.“
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