Auch wenn es (natürlich) so kommt, wie harastos (und andere) es vorhergesagt haben – nämlich, dass Soji zu den Organischen „überläuft“ –, ist das Staffelende von Star Trek: Picard dennoch kein plattes; was nicht nur daran liegt, dass es quasi zwei Enden gibt: eines, das den Haupt-Plot der Serie abschließt, und eines, das einem schon vor langer Zeit gestorbenen Hauptcharakter der Next Generation den längst überfälligen würdevollen Abschied zuteilwerden lässt.
Die ersten zwei Drittel der Episode stehen im Zeichen des Haupt-Plots:
Soji ist dabei, eine Verbindung zur Allianz aufzubauen. Picards Leute versuchen, das zu verhindern, scheitern damit aber. Dann stellt Picard eine Verbindung zu Soji her und bietet ihr etwas an, von dem er hofft, dass es ihre Meinung ändert. „Und was“, fragt Soji zurück, „soll das sein?“ Darauf Picard: „Mein Leben! Picard Ende.“
Soji kennt die Geschichte Datas, der sein Leben für Picard geopfert hat (Star Trek: Nemesis). Doch zunächst, obgleich man sieht, dass sie sehr wohl beeindruckt ist, arbeitet sie weiter an der Herstellung des Kontakts zur Allianz. Aber Picard hat nicht „nur“ einfach sein Leben angeboten – er hat damit Grenzen eingerissen: Er stellt damit Datas Leben – das eines Androiden – auf die gleiche Stufe wie das seine – das eines Menschen.
Mittlerweile ist die romulanische sowie die terranische Flotte eingetroffen; sie stehen sich im Orbit gegenüber. Als wäre das nicht schon schlimm genug, treffen auch die ersten Boten der Allianz ein (in einem von Soji aktivierten Wurmloch, Barke genannt).
Es folgt der Höhepunkt der Staffel, sozusagen das, was Star Trek (speziell TNG) ausmacht und immer ausgemacht hat. Picard will noch einmal über einen „offenen Kanal“ mit Soji sprechen, da er dazu aber gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, lässt er sich mit einem Medikament fit spritzen, einem Medikament, das, so Picard, „das Unvermeidliche (er meint den Tod) nur beschleunigt“.

Er wendet sich noch einmal direkt an Soji, appelliert an das Menschliche in ihr: „Soji, bitte deaktivieren Sie die Barke und beweisen Sie den Romulanern, wie sehr die sich in Ihnen täuschen.“ Der Oberbefehlshaber der romulanischen Flotte hört aufmerksam zu, desgleichen der „amtierende Captain“ der terranischen Flotte, William Riker. „Sie sind“, so Picard weiter, „weder der Feind noch die Zerstörerin. Wenn die Romulaner das nicht überzeugt, bekommen sie es mit der Föderation zu tun.“ Er versichert ihr, dass die Föderation darauf vertraut, dass sie die richtige Entscheidung trifft. „Ich vertraue darauf, Soji. Ich kenne Sie. Ich glaube an Sie. Aus diesem Grund habe ich Ihr Leben gerettet, damit Sie jetzt im Gegenzug unseres retten können.“ Man sieht, wie Riker zu grinsen beginnt; er kennt schließlich Picard, den überzeugenden „Prediger“ des Humanen. Und Picard hat Erfolg: Soji deaktiviert die Barke, und mehr noch: Die Romulaner deaktivieren ihre Waffen.
Doch nach dem Abzug der Flotten – sowie einem kurzen Geplänkel zwischen Picard und Riker – kollabiert Picard, und wenig später stirbt er in den Armen Raffis.
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Im letzten Drittel der Episode (die fast eine Stunde dauert) geht es um den Tod: den aktuellen Picards und den lange zurückliegenden Tod Datas.
Nach einigen Szenen der Trauerarbeit – (fast) jede Hauptfigur der Serie bekommt Gelegenheit, Picards Tod zu verarbeiten – folgt ein (unerwarteter) Schnitt:

Wir sehen Picard (den Lebenden); er sitzt auf einer Art Couch und erkundet den Raum, in dem er sich befindet. Als er zur Überzeugung kommt, dass es nur „noch so ein verfluchter Traum“ sei, erscheint Data. „Nein, Captain“, sagt er, „es handelt sich um eine extrem komplexe Quanten-Simulation. Allerdings“, kommt er Picard entgegen, „stelle ich mir vor, dass dies von Ihrem Standpunkt aus nicht allzu weit von einem Traum entfernt sein dürfte.“
Nach seinem Tod wurde Datas Bewusstsein in eine künstliche Matrix transferiert, wo es seither sein Dasein fristet. Und das für alle Ewigkeit, denn ein so konservierter Geist ist unsterblich. Um Tod versus Unsterblichkeit dreht sich denn auch das folgende Gespräch zwischen Data und Picard. Picard erfährt, fast nebenbei, dass er sich mit Data zwar in einer Simulation befindet, er selbst aber keine ist. „Bevor Ihre Gehirnfunktionen versagten“, erläutert Data, „konnten Dr. Soong und Jurati mit der Hilfe von Soji ein vollständiges, komplett identisches Abbild Ihres neuronalen Substrates erzeugen und übertragen.“
Bevor Picard in die Wirklichkeit zurückkehrt, äußert Data einen Wunsch, den Picard zu erfüllen verspricht.
Auferstehung: Als Picard im Realen zu sich kommt, lautet seine erste Frage. „Bin ich echt?“ Soji versichert, dass dem so sei. Das allerdings stimmt nicht ganz, denn nur der Geist Picards, seine Erinnerungen, sein Wissen und so weiter sind „echt“. Der Körper jedoch ist künstlich hergestellt, das Gehirn eine positronische Matrix. In der zweiten Staffel – die bereits in Arbeit ist – wird Picard also als Android wiederkehren.
Ausklang: Nachdem das Wiedersehen Picards mit den Seinen plus einem kurzen Update zu seiner neuen „Hülle“ abgeschlossen ist, erinnert er sich an Datas Wunsch: „Ich muss ein Versprechen erfüllen.“
Während er selbst – wegen des Androidenkörpers – ein paar Jahrzehnte hinzugewonnen hat (theoretisch sogar die Unsterblichkeit), bat Data darum, sein Bewusstsein „abzuschalten“, denn er, Data, glaube, dass Unsterblichkeit das Leben entwerte, unecht mache; der Tod gehöre zum Leben, nur Leben, das den Tod umfasse, ist echtes Leben. „Ein Schmetterling“, so Data, „der nicht stirbt, ist kein Schmetterling.“

Die letzten Minuten der Episode (und damit auch der Serie) gehören Data, genauer: dem Sterben Datas. Alle – buchstäblich alle, die bei Star Trek: Picard in vorderster Reihe dabei waren – sitzen beisammen, um Data die letzte Ehre zu erweisen.
Der Robot, der sich, gleichsam als letztmögliche Perfektion seiner Existenz, die menschliche Sterblichkeit wünscht, entstammt der Story Der Zweihundertjährige von Isaac Asimov, die im Original als The Bicentennial Man 1976 erschien; es war die letzte Robot-Geschichte Asimovs (die auch bereits verfilmt wurde, nämlich 1999 von Chris Columbus).
Hat Star Trek: Picard diese Idee also abkupfert? Im Prinzip schon. Aber erstens ist das auch als Kopie eine verdammt gute Idee. Und zweitens kann man Klassiker nicht beklauen; man kann sie zitieren, paraphrasieren und so weiter. Und zum Klassiker wurde Asimov in der zweiten Episode erklärt; sozusagen als Vorbereitung des Finales …
Fazit 10. Episode: Ganz und gar Star Trek (TNG).
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Fazit Serie: Die Stärke der 10. Episode – ganz und gar Star Trek zu sein – ist aber auch eine der Schwächen der Serie als Ganzes.
Die ersten Episoden hielten sich noch eine ganze Menge Optionen offen – in Form von möglichen Plots und/oder Personenkonstellationen: Die Föderation, die einen ihrer Verbündeten im Stich lässt (und damit verrät, wofür sie bisher gestanden hat) oder das TV-Interview, in dem Picard durch einen Oprah-Verschnitt – weiblich, schwarz, arrogant – vorgeführt werden soll, was Picard sich aber nicht bieten lässt. Doch im weiteren Verlauf der Serie zeigt sich leider sehr schnell, dass all die potenziell guten Plot-Ansätze nur halbherziges Antäuschen, ein So-tun-als-ob war. So auch der Borg-Kubus, der eigentlich nur im Spiel ist, damit Seven of Nine innerhalb der Serie nicht in der Luft hängt. Oder das Streitgespräch zwischen Picard und einem Admiral der Föderation, in dem grundsätzliche moralische Fragen diskutiert werden – nichts weiter als Schaumschlägerei im Stile TNGs, die nicht weiterverfolgt wird.
Nicht dass der Hauptplot, der sich schließlich herausschält, schlecht erzählt wäre. Im Gegenteil. Aber er geht halt keinerlei Risiken ein. Eine gute Star-Trek-TNG-Geschichte, die vor 20 Jahren vielleicht sogar sensationell gewesen wäre. Heute ist sie bloß Dutzendware.
Und so bleibt am Ende vor allem das Gefühl, zwar keine schlechte Serie gesehen zu haben, aber auch eine, die ihre Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft hat (und das offenbar auch nicht wollte).