Star Trek: Picard – Finale (10. Episode)

Auch wenn es (natürlich) so kommt, wie harastos (und andere) es vorhergesagt haben – nämlich, dass Soji zu den Organischen „überläuft“ –, ist das Staffelende von Star Trek: Picard dennoch kein plattes; was nicht nur daran liegt, dass es quasi zwei Enden gibt: eines, das den Haupt-Plot der Serie abschließt, und eines, das einem schon vor langer Zeit gestorbenen Hauptcharakter der Next Generation den längst überfälligen würdevollen Abschied zuteilwerden lässt.

Die ersten zwei Drittel der Episode stehen im Zeichen des Haupt-Plots:

Soji ist dabei, eine Verbindung zur Allianz aufzubauen. Picards Leute versuchen, das zu verhindern, scheitern damit aber. Dann stellt Picard eine Verbindung zu Soji her und bietet ihr etwas an, von dem er hofft, dass es ihre Meinung ändert. „Und was“, fragt Soji zurück, „soll das sein?“ Darauf Picard: „Mein Leben! Picard Ende.“

Soji kennt die Geschichte Datas, der sein Leben für Picard geopfert hat (Star Trek: Nemesis). Doch zunächst, obgleich man sieht, dass sie sehr wohl beeindruckt ist, arbeitet sie weiter an der Herstellung des Kontakts zur Allianz. Aber Picard hat nicht „nur“ einfach sein Leben angeboten – er hat damit Grenzen eingerissen: Er stellt damit Datas Leben – das eines Androiden – auf die gleiche Stufe wie das seine – das eines Menschen.

Mittlerweile ist die romulanische sowie die terranische Flotte eingetroffen; sie stehen sich im Orbit gegenüber. Als wäre das nicht schon schlimm genug, treffen auch die ersten Boten der Allianz ein (in einem von Soji aktivierten Wurmloch, Barke genannt).

Es folgt der Höhepunkt der Staffel, sozusagen das, was Star Trek (speziell TNG) ausmacht und immer ausgemacht hat. Picard will noch einmal über einen „offenen Kanal“ mit Soji sprechen, da er dazu aber gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, lässt er sich mit einem Medikament fit spritzen, einem Medikament, das, so Picard, „das Unvermeidliche (er meint den Tod) nur beschleunigt“.

Picard – kurz vor seiner Rede an Soji

Er wendet sich noch einmal direkt an Soji, appelliert an das Menschliche in ihr: „Soji, bitte deaktivieren Sie die Barke und beweisen Sie den Romulanern, wie sehr die sich in Ihnen täuschen.“ Der Oberbefehlshaber der romulanischen Flotte hört aufmerksam zu, desgleichen der „amtierende Captain“ der terranischen Flotte, William Riker. „Sie sind“, so Picard weiter, „weder der Feind noch die Zerstörerin. Wenn die Romulaner das nicht überzeugt, bekommen sie es mit der Föderation zu tun.“ Er versichert ihr, dass die Föderation darauf vertraut, dass sie die richtige Entscheidung trifft. „Ich vertraue darauf, Soji. Ich kenne Sie. Ich glaube an Sie. Aus diesem Grund habe ich Ihr Leben gerettet, damit Sie jetzt im Gegenzug unseres retten können.“ Man sieht, wie Riker zu grinsen beginnt; er kennt schließlich Picard, den überzeugenden „Prediger“ des Humanen. Und Picard hat Erfolg: Soji deaktiviert die Barke, und mehr noch: Die Romulaner deaktivieren ihre Waffen.

Doch nach dem Abzug der Flotten – sowie einem kurzen Geplänkel zwischen Picard und Riker – kollabiert Picard, und wenig später stirbt er in den Armen Raffis.

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Im letzten Drittel der Episode (die fast eine Stunde dauert) geht es um den Tod: den aktuellen Picards und den lange zurückliegenden Tod Datas.

Nach einigen Szenen der Trauerarbeit – (fast) jede Hauptfigur der Serie bekommt Gelegenheit, Picards Tod zu verarbeiten – folgt ein (unerwarteter) Schnitt:

Quantensimulationen …

Wir sehen Picard (den Lebenden); er sitzt auf einer Art Couch und erkundet den Raum, in dem er sich befindet. Als er zur Überzeugung kommt, dass es nur „noch so ein verfluchter Traum“ sei, erscheint Data. „Nein, Captain“, sagt er, „es handelt sich um eine extrem komplexe Quanten-Simulation. Allerdings“, kommt er Picard entgegen, „stelle ich mir vor, dass dies von Ihrem Standpunkt aus nicht allzu weit von einem Traum entfernt sein dürfte.“

Nach seinem Tod wurde Datas Bewusstsein in eine künstliche Matrix transferiert, wo es seither sein Dasein fristet. Und das für alle Ewigkeit, denn ein so konservierter Geist ist unsterblich. Um Tod versus Unsterblichkeit dreht sich denn auch das folgende Gespräch zwischen Data und Picard. Picard erfährt, fast nebenbei, dass er sich mit Data zwar in einer Simulation befindet, er selbst aber keine ist. „Bevor Ihre Gehirnfunktionen versagten“, erläutert Data, „konnten Dr. Soong und Jurati mit der Hilfe von Soji ein vollständiges, komplett identisches Abbild Ihres neuronalen Substrates erzeugen und übertragen.“

Bevor Picard in die Wirklichkeit zurückkehrt, äußert Data einen Wunsch, den Picard zu erfüllen verspricht.

Auferstehung: Als Picard im Realen zu sich kommt, lautet seine erste Frage. „Bin ich echt?“ Soji versichert, dass dem so sei. Das allerdings stimmt nicht ganz, denn nur der Geist Picards, seine Erinnerungen, sein Wissen und so weiter sind „echt“. Der Körper jedoch ist künstlich hergestellt, das Gehirn eine positronische Matrix. In der zweiten Staffel – die bereits in Arbeit ist – wird Picard also als Android wiederkehren.

Ausklang: Nachdem das Wiedersehen Picards mit den Seinen plus einem kurzen Update zu seiner neuen „Hülle“ abgeschlossen ist, erinnert er sich an Datas Wunsch: „Ich muss ein Versprechen erfüllen.“

Während er selbst – wegen des Androidenkörpers – ein paar Jahrzehnte hinzugewonnen hat (theoretisch sogar die Unsterblichkeit), bat Data darum, sein Bewusstsein „abzuschalten“, denn er, Data, glaube, dass Unsterblichkeit das Leben entwerte, unecht mache; der Tod gehöre zum Leben, nur Leben, das den Tod umfasse, ist echtes Leben. „Ein Schmetterling“, so Data, „der nicht stirbt, ist kein Schmetterling.“

Datas Ende …

Die letzten Minuten der Episode (und damit auch der Serie) gehören Data, genauer: dem Sterben Datas. Alle – buchstäblich alle, die bei Star Trek: Picard in vorderster Reihe dabei waren – sitzen beisammen, um Data die letzte Ehre zu erweisen.

Der Robot, der sich, gleichsam als letztmögliche Perfektion seiner Existenz, die menschliche Sterblichkeit wünscht, entstammt der Story Der Zweihundertjährige von Isaac Asimov, die im Original als The Bicentennial Man 1976 erschien; es war die letzte Robot-Geschichte Asimovs (die auch bereits verfilmt wurde, nämlich 1999 von Chris Columbus).

Hat Star Trek: Picard diese Idee also abkupfert? Im Prinzip schon. Aber erstens ist das auch als Kopie eine verdammt gute Idee. Und zweitens kann man Klassiker nicht beklauen; man kann sie zitieren, paraphrasieren und so weiter. Und zum Klassiker wurde Asimov in der zweiten Episode erklärt; sozusagen als Vorbereitung des Finales …

Fazit 10. Episode: Ganz und gar Star Trek (TNG).

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Fazit Serie: Die Stärke der 10. Episode – ganz und gar Star Trek zu sein – ist aber auch eine der Schwächen der Serie als Ganzes.

Die ersten Episoden hielten sich noch eine ganze Menge Optionen offen – in Form von möglichen Plots und/oder Personenkonstellationen: Die Föderation, die einen ihrer Verbündeten im Stich lässt (und damit verrät, wofür sie bisher gestanden hat) oder das TV-Interview, in dem Picard durch einen Oprah-Verschnitt – weiblich, schwarz, arrogant – vorgeführt werden soll, was Picard sich aber nicht bieten lässt. Doch im weiteren Verlauf der Serie zeigt sich leider sehr schnell, dass all die potenziell guten Plot-Ansätze nur halbherziges Antäuschen, ein So-tun-als-ob war. So auch der Borg-Kubus, der eigentlich nur im Spiel ist, damit Seven of Nine innerhalb der Serie nicht in der Luft hängt. Oder das Streitgespräch zwischen Picard und einem Admiral der Föderation, in dem grundsätzliche moralische Fragen diskutiert werden – nichts weiter als Schaumschlägerei im Stile TNGs, die nicht weiterverfolgt wird.

Nicht dass der Hauptplot, der sich schließlich herausschält, schlecht erzählt wäre. Im Gegenteil. Aber er geht halt keinerlei Risiken ein. Eine gute Star-Trek-TNG-Geschichte, die vor 20 Jahren vielleicht sogar sensationell gewesen wäre. Heute ist sie bloß Dutzendware.

Und so bleibt am Ende vor allem das Gefühl, zwar keine schlechte Serie gesehen zu haben, aber auch eine, die ihre Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft hat (und das offenbar auch nicht wollte).

Star Trek: Picard (2. Episode)

Im Laufe der Episode erfahren wir, dass der Borg-Kubus (der in der letzten Szene der 1. Episode auftauchte) ein Untersuchungsprojekt der Romulaner darstellt; sie nennen es „Das Artefakt“. Es hat keine Verbindung zu den Borg; es ist tot; für die Borg ist es nichts anderes als für Menschen ein Friedhof. Dass das nicht unbedingt zur Beruhigung taugt, zeigt der Beginn der 2. Episode von Star Trek: Picard.

Rückblende ins Jahr 2385. Standort: Mars, Utopia-Planitia-Flottenwerft. Wir sind dabei, wie die Androiden die Flottenwerft zerstören (was in der 1. Episode nur erwähnt worden ist). Das Beunruhigende offenbart sich in Minute 4: Es ist ein auf heutige Filmtechnik upgegradetes Zitat einer entsprechenden Szene aus TNG (S02E16; Minute 22). Vergleicht man die beiden Szenen, weiß man, mit wem die abtrünnigen Androiden da im Bunde stehen …

Natürlich nur, wenn man mit TNG vertraut ist, denn die Episode erzählt „im Vordergrund“ eine andere Geschichte: Picard hat sich ganz und gar der Sache der Androiden verschrieben. Er beabsichtigt, Bruce Maddox ausfindig zu machen, den Wissenschaftler, der – so seine Überzeugung – hinter der Konstruktion von Dahj steht, die (zusammen mit ihrer Schwester Soji) eine neue Art von Androiden darstellt; sie beruht auf der Gehirnmatrix von Data. Dazu braucht Picard jedoch ein Raumschiff.

Er sucht also das Sternenflottenkommando auf, um darum zu ersuchen, ihm ein „kleines, warpfähiges Aufklärungsschiff“ zur Verfügung zu stellen. Leider hat er nicht viel mehr anzubieten, als eben seine Überzeugung, Maddox schlachte gewissermaßen Data aus. Seine Bemerkung, dass die Romulaner „irgendwie“ darin verwickelt seien, macht ihn nicht glaubwürdiger. Kurzum: Das Sternenflottenkommando, in persona eines Admirals, die ihm gegenüber sitzt, lehnt seinen Antrag ab. Es fallen dabei sehr harte Worte. Sie, der Admiral, wirft ihm Realitätsferne vor, spricht von einer „grenzenlosen Anmaßung“, überhaupt so einen Antrag zu stellen, und bezeichnet ihn, bevor sie ihn quasi rauswirft, als „einstmals großen Mann“, der derzeit leider nur noch von „Geltungssucht erfüllt ist“.

Vor der Auseinandersetzung: Zwei Admiräle sitzen sich gegenüber …

Im Kern geht es in der Auseinandersetzung um Moral versus (Real-)Politik. Picard steht auf Seiten der Moral: Es war ein Verbrechen der Föderation, die Romulaner in ihrer schwersten Stunde im Stich zu lassen. Wir alle – Alt- wie Neu-Trekkies – sind (natürlich) auf seiner Seite. Ohne Wenn und Aber; die Ideale der Föderation sind unantastbar, denn „die Föderation entscheidet nicht darüber, ob eine Spezies lebt oder stirbt“ (Picard, Minute 23). Dagegen kann sie, der Admiral, kaum ankommen, steht von Anfang an (gegen uns) auf verlorenem Posten.

Obgleich sie durchaus eine Menge ins Feld zu führen hat: „Die Romulaner waren unsere Feinde, und wir haben ihnen geholfen, so lange wir konnten. Aber selbst vor dem Angriff der Androiden auf dem Mars, haben 14 Spezies in der Föderation gesagt, überlasst die Romulaner sich selbst oder wir sind draußen. Wir mussten uns entscheiden: Die Zukunft der Föderation riskieren oder die Romulaner zurückweisen.“ Es folgt Picards Einwand, dass die Föderation nicht über Leben oder Tod von Spezies zu entscheiden habe. „Doch“, erwidert darauf der Admiral knallhart, „das tun wir: Das müssen wir sogar tun. Tausende anderer Spezies sind darauf angewiesen, das wir für Einheit sorgen, für Zusammenhalt. Damals hatten wir nicht genügend Schiffe – wir mussten eine Wahl treffen.

Picard kann das (wie vermutlich die meisten von uns) nicht akzeptieren. Es folgen noch ein paar sehr hässliche Worte & Ausdrücke, auf beiden Seiten, die schließlich in seinem Rausschmiss kulminieren.

Die Kernszene der Episode – die Auseinandersetzung zwischen Picard und dem Admiral der Föderation (Minute 21:40 bis 24:20) – scheint Picard in Allem Recht zu geben. Der Admiral kommt kalt, berechnend, karrieristisch (und so weiter) rüber; er spricht kalt, rational, imperialistisch (und so weiter). Während Picard, der nur wenig älter ist als sein Gegenüber, für eine gute Sache (die der Androiden) brennt, verteidigt der Admiral – wie langweilig! – nur die Position der Herrschenden.

Aber bevor es zur Begegnung zwischen Picard und dem Admiral der Föderation kommt, greift die Episode zu sehr feiner Ironie, die den moralischen Sieg, den Picard in Kürze erringen wird, ein wenig relativiert. Denn die Anwürfe des Admirals, Picard sei anmaßend und so weiter, gewinnen durch die kleine Szene an Glaubwürdigkeit (und damit auch die Position, die die Föderation vertritt).

Picard betritt das Gebäude der Sternenflotte und tritt an den Empfang. Ohne seinen Namen zu nennen, sagt er, dass er einen Termin mit dem Sternenflottenkommando habe. In Benehmen und Miene drückt sich aus, dass man ihn zu kennen und sofort vorzulassen habe. Doch der junge Schnösel hinter dem Tresen erkennt ihn nicht. Picard muss nicht nur seinen Namen nennen, sondern ihn auch noch buchstabieren, um einen Besucherausweise zu erhalten. Ein wenig pikiert macht er sich auf den Weg ins Büro des Admirals.

Fazit: Nach wie vor gilt: Das könnte die beste Star-Trek-Serie werden, die wir je gesehen haben.

Und noch einen zum Schluss: Als Picard bei der Begegnung mit einer Wissenschaftlerin sieht, wie diese das Buch The Complete Robot von Isaac Asimov zuschlägt, bemerkt er: „Ah, Sie haben einen Sinn für Klassiker.“ Und beinahe entschuldigend erklärt er: „Ich habe mich nie wirklich für Science Fiction interessiert. Irgendwie“, fügt er hinzu, und deutet dabei den blasierten Intellektuellen an, „finde ich keinen Bezug dazu.“

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Star Trek: Picard (3. Episode)

Star Trek: Picard (1. Episode)

Es beginnt mit einer Pokerpartie, Commander Data, der Android, gegen Jean-Luc Picard, ehemals Captain der Enterprise. Zur Erinnerung: Auch auf der Enterprise hat man des Öfteren gepokert, aber erst im Finale der Serie Star Trek: The Next Generation (TNG) hat der Captain selbst, in der letzten Szene der Serie, an einer teilgenommen (auch Data war damals mit von der Partie). Die neue Serie im Star-Trek-Universum, Star Trek: Picard, schließt also direkt an TNG an.

Diesmal allerdings erweist sich die Pokerpartie als ein Traum Picards. Er erwacht im Bett auf seinem Anwesen in Frankreich, dem Château Picard, wo er, nachdem er die Sternenflotte verlassen hat, als Pensionär seine (vermutlich) letzten Jahre verbringt. Es ist derselbe Ort, an den er sich (in TNG, 4. Staffel, 2. Episode) zurückgezogen hatte, nachdem er von den Borg, die ihn als Locutus assimiliert hatten, befreit worden war. Damit sind sie, die Borg, im Spiel, wenn zunächst auch nur für Insider.

Der Tag nach dem Picard’schen Alptraum – das Pokerspiel endete mit dem Tod von Data und ihm selbst – ist „ein großer Tag“, denn es steht ein Interview mit FNN an, dem Sender, der die „News of the Galaxy“ im Programm hat. Und so grotesk großspurig wie das Motto des Senders ist auch die Interviewerin, der sich Picard schließlich gegenüber sieht; sie ist offenbar eine in die Zukunft projizierte Oprah Winfrey: schwarz, weiblich, arrogant. Sie versucht, stets mit einem überheblichen (oder mitleidigem) Lächeln im Gesicht, Picard vorzuführen.

Gleichzeitig fungiert sie auch als in die Story integrierte Erzählerin, quasi als Verlängerung der Drehbuchautoren. Als solche schildert sie die  Vorgeschichte, also das, weshalb es die Serie überhaupt gibt: Vor 12 Jahren, im Jahr 2387, wurde Romulus, die Heimatwelt der Romulaner, durch eine Supernova bedroht (was Thema des 11. Star-Trek-Films, Star Trek, war). Dieser Film, der erste der neuen Star-Trek-Linie, verabschiedete sich von unserer Zeitlinie und betrat eine neue, alternative Zeitlinie, die mit dem bisherigen Star-Trek-Kosmos nichts mehr zu tun hatte. Das geschah nicht, weil man irgendeine neue, tolle, noch nie dagewesene Idee gehabt hätte, die man nur so verwirklichen könnte. Das Gegenteil ist richtig: Man wählte diesen Weg, damit das neue Star Trek (das von J. J. Abrams) sich nicht ständig um lästige Kongruenz mit der Vergangenheit bis hin zu TOS (der klassischen Serie aus den 1960ern) zu kümmern brauchte. Star Trek: Picard nun setzt die „klassische“ Zeitlinie fort.

Romulus ersuchte die Föderation um Hilfe, die diese auch gewährte: Zehntausend warpfähige Fähren wurden, unter dem Kommando von Jean-Luc Picard, losgeschickt, um 900 Millionen Romulaner umzusiedeln auf Welten, die außerhalb der Reichweite der Supernova lagen.

„Und dann geschah das Unvorstellbare“, so die Moderatorin. „Einer Truppe abtrünniger Androiden gelang es, das Verteidigungsnetzwerk des Mars zu infiltrieren. Sie zerstörten die Rettungsflotte und die Utopia-Planitia-Flottenwerft. Die Explosionen haben Dämpfe in der Stratosphäre entzündet; der Mars brennt bis zum heutigen Tag. Es gab 92.143 Tote und führte zu einem Verbot von Androiden.“

Schließlich stellt sie die entscheidende Frage an Picard: „Wieso haben Sie die Sternenflotte verlassen?“ Seine Antwort: „Weil es nicht mehr die Sternenflotte war.“ Nicht das Verbot der Androiden, das Picard zwar für einen schweren Fehler hielt und hält, führte zum Bruch, sondern der Rückzug der Föderation: „Die Galaxis hat getrauert und ihre Toten bestattet. Und die Sternenflotte stiehlt sich aus der Verantwortung! Die Entscheidung, die Rettung abzubrechen und jene im Stich zu lassen, die zu retten wir geschworen haben, war nicht nur unehrenhaft, sondern schlicht und ergreifend kriminell. Und ich war nicht mehr bereit, untätig dabei zuzusehen!“ Damit bricht er das Interview ab: „Wir sind hier fertig.“

Aus diesem Interview entwickeln sich zwei Stränge. Einer wird im weiteren Verlauf der Episode näher verfolgt; der andere bleibt (vermutlich vorläufig) nur virtuell vorhanden, besteht hier nur aus einem einzigen Wort, prägt der Episode (und vielleicht der ganzen Serie) durch dieses eine Wort aber so etwas wie einen moralischen Tiefenrhythmus auf.

Zum 1. Strang: Durch das Interview, das live übertragen wurde, wird eine junge Frau, Dahj, auf Picard aufmerksam. Sie besucht ihn, behauptet, ihn zu kennen. Bei seinen Recherchen im Archiv der Sternenflotte stößt Picard auf ein Gemälde, gemalt von Commander Data, auf dem Dahj zu sehen ist. Der Haken dabei: Data hat das Bild vor 30 Jahren gemalt, lange vor der Geburt von Dahj. Das Bild trägt den Titel „Tochter“. Aus TNG (S03E16) wissen wir, dass Data schon immer eine Tochter wollte. Und in gewisser Weise ist Dahj genau das: Ein Android mit einem Körper aus Fleisch und Blut und einem positronischen Gehirn. Sie selbst wusste davon bisher nichts, hat sich immer für einen „normalen“ Menschen gehalten …

Am Ende der Episode finden wir uns in einer „romulanischen Rückgewinnungseinrichtung“, ein Ort, durchaus geeignet, um (illegal) Androiden zusammenzubauen. Man sieht zunächst nur Details in Großaufnahme oder im Hintergrund, aber für die letzte Einstellung der Episode öffnet sich der Blick und zeigt die gesamte Anlage. Man sieht einen leicht modifizierten … Borg-Kubus.

Zum 2. „Strang“: Als die Interviewerin von FNN die Logistik der föderalen Rettungsaktion mit dem Bau der ägyptischen Pyramiden vergleicht, weist Picard das von sich, bezeichnet den Pyramidenbau als „Sinnbild kolossaler Eitelkeit“. Und im Fortfahren erwähnt er, ohne weitere Erklärung, jenes eine Wort: „Wenn Sie nach einer historischen Analogie suchen – Dünkirchen.“

Dünkirchen: französische Hafenstadt an der Nordsee. Im Mai 1940 stand mit dem Erreichen der deutschen Truppen vor Dünkirchen der Fall Frankreichs unmittelbar bevor. Die französische Nordarmee und ein englisches Expeditionskorps (zusammen fast 400.000 Mann) hatten einem deutschen Angriff nichts mehr entgegenzusetzen und sahen der Gefangennahme ins Auge. Sie bereiteten also die Flucht über den Kanal nach England vor. Und überraschenderweise gelang das den meisten auch, wenn auch unter Zurücklassung sämtlicher Ausrüstung. In England sprach man vom „Wunder von Dünkirchen“, doch möglich war dieses Wunder nur, weil der Führer (gegen den Protest seiner eigenen Generäle) den entscheidenden Angriff hinauszögerte.

Die Analogie zwischen Dünkirchen und dem Rückzug der Föderation aus der Rettungsaktion ergibt allerdings nur aus der Sicht eines Franzosen (der Picard ja ist) einen Sinn. Denn am Ende gerieten etwa 40.000 Mann in deutsche Gefangenschaft, und zwar ausschließlich Franzosen. Nach französischer Lesart ließen die Engländer die Franzosen im Stich, um ihre eigene Haut zu retten. Diese Feinheiten dürfte aber weder ein amerikanischer noch ein englischer noch ein deutscher Zuschauer verstehen. Hängen bleibt – und soll es wohl auch – „irgendwas mit Nazis“.

Star Trek: Picard hat mit der Figuren- und Stoffkonstellation, die die erste Episode aufbaut, einerseits durchaus das Zeug, zur besten Star-Trek-Serie überhaupt zu werden. Aber andererseits lauern hinter den gewaltigen Assoziationen, die die Erwähnung von Dünkirchen, den Borg, von mordenden Androiden und einer gescheiterten Föderation hervorrufen, auch gewaltige Gefahren; nicht nur an der deutschen Frage (oder der Deutschenfrage) ist Star Trek ja schon mehr als einmal gescheitert. Warten wir es also ab …

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Star Trek: Picard jeden Donnerstag auf Amazon Prime.

Star Trek: Picard (2. Episode)