I am Mother (AUS 2019)

Der Film lullt uns mit perfekt gestylten Bildern ein, beruhigt uns mit einem bedächtigen Erzähltempo, und macht uns vor, das Logical in den ersten Minuten diene nur dazu, den Plot intellektuell aufzupeppen. Doch das alles täuscht gewaltig, denn I am Mother (Drehbuch: Michael Lloyd Green, Regie: Grant Sputore; für beide ist es der erste Film) breitet eines der düstersten Szenarien aus, die man in einem Science-Fiction-Film je gesehen hat …

Schon der Titel in Verbindung mit dem Setting weisen – für jeden, der in Sachen SciFi nicht ganz unbeleckt ist – darauf hin, dass da Düsteres auf einen zukommt. Die „Einrichtung zur Neubesiedlung“, in der wir uns befinden, erinnert bedenklich an die Innereien der Nostromo, dem Raumfrachter, der im Jahr 2116 auf dem Planeten mit der Bezeichnung LV-426 landete und dort mit einem Organismus mit dem schlichten Namen Alien infiziert wurde, was bekanntlich nur ein Besatzungsmitglied überlebte. Der Bordcomputer dieses Schiffes hörte auf den Namen „Mutter“.

Und so wie jene Mutter „größere“ Pläne verfolgte – nämlich dem Alien das Überleben zu ermöglichen, denn nur darum ging es: um das Überleben der perfekteren Spezies –, so verfolgt auch Mutter aus I am Mother einen großen Plan: Nachdem sich die Menschheit in einem Krieg (wieder einmal) vernichtet hat – hier als Auslöschung bezeichnet –, obliegt es der „Einrichtung zur Neubesiedlung“, die entvölkerte, quasi entmenschte Erde mit neuen Menschen zu besiedeln.

„Mutter“ ist ein Robot; am Beginn des Films sehen wir, wie sie aktiviert, das heißt montiert wird (wie einst die Borg-Königin). Danach entnimmt aus einer Art kryogenem Biolager einen Embryo, gibt ihn in einen Brüter, den er nach wenigen Stunden als Baby wieder verlässt. Dann beginnt Mutter ihre Erziehungsarbeit, denn das ist ihre Aufgabe: Menschen für die Neubesiedelung fitzumachen.

Mutter …

Aus dem Baby wird „Tochter“. Wir sehen, wie sie heranwächst. Vom quengelnden Kleinst- bis zum anstrengenden Kleinkind. Ihre einzige Bezugsperson ist Mutter; dass diese Mutter nicht von ihrer Art ist, spielt keinerlei Rolle. Es ist Liebe in ihrer vielleicht urtümlichsten Art. Und das gilt auch umgekehrt: Mutter ist eine gute Mutter. (Wer an dieser Stelle fragt, ob das psychologisch/soziologisch möglich ist, ist ein Erbsenzähler und versteht Science Fiction nicht.) An diesem guten Verhältnis ändert sich (zunächst) auch nichts, als Tochter zum Teenager wird.

An diesem Punkt aber – bei 8:30 Filmzeit – liegt so etwas wie ein Knack- und Wendepunkt: Denn „Tochter“ wird nicht zum Teenager, „Tochter“ – Schnitt – ist Teenager. Hier spielt der Film mit unseren Seh-Gewohnheiten: Wir sind einfach damit vertraut, dass in einem biografischen Film der Schauspieler ausgetauscht wird, wenn der Dargestellte bestimmte Altersgrenzen überschreitet. Wir gehen davon aus, dass es sich, obgleich der Schauspieler gewechselt hat, um den gleichen Dargestellten handelt. Diese Gewohnheit ist so stark, dass der Film es sich leisten kann, damit zu spielen: Kurz vor dem Schnitt, der vom Kleinkind zum Teenager führt, erscheint ein kurzer Take, der diese Gewohnheit ad absurdum führt. Er zeigt, dass nicht nur der Schauspieler, sondern auch der Dargestellte wechselt. Man muss allerdings nachrechnen, denn dieser Take besteht aus nur zwei Zahlen. Tut man das, rechnet also tatsächlich nach, dann kennt man bereits nach nicht einmal neun Minuten die Pointe des (fast zweistündigen) Films.

Gleich danach kommt das erwähnte Logical. Es läuft auf die Frage hinaus, ob sich Tochter zu opfern hat, um damit 5 anderen Menschen, Patienten in einem Krankenhaus, das Weiterleben zu ermöglichen. Mutter gibt ganz den kalten, rechnenden Automaten und behauptet – und es ist nur eine Behauptung, wie der Film im Weiteren zeigt –, dass 5 Leben offensichtlich mehr zählen als ein einziges, und es sich deshalb von selbst verstehe, dass der eine Mensch sich für fünf zu opfern habe.

Doch Tochter erlaubt sich Zweifel. „Na ja“, beginnt sie, „kenne ich diese 5 Patienten? Sind das gute Menschen? Ehrlich? Unehrlich? Sind sie fleißig oder faul? Ich … würde vielleicht mein Leben für jemanden opfern, der mordet, oder der stiehlt. Und durch mein Opfer weiteren Menschen Schaden zufügen.“

Mutter, quasi lauernd, fragt, ob sie denn nicht glaube, dass jeder Mensch den gleichen Wert besitze. Tochter, genervt & gestresst, denn sie musste sich abhetzen, um diese Unterrichtseinheit noch zu erreichen. Und so sagt sie, völlig ernst, ohne jede Ironie, dass sie vor einer Woche, als sie Kant gelesen habe, noch dieser Meinung gewesen sei.

Mutter gibt – wie der Film – nicht zu erkennen, dass damit, das heißt mit den Einwänden Tochters gegen die konstruierte Situation des Logicals, eigentlich alles gesagt ist. Tochter hat sich gegen Kant und die idealistische Ethik der (deutschen) Aufklärung positioniert. Allerdings ohne sich dessen bewusst zu sein. Die folgenden 1½ Stunden verbringt Mutter damit, Tochter (und dem Zuschauer) zu vermitteln, was genau sie da intuitiv erfasst hat. Nämlich schlicht die Wahrheit, wie Mutter (und die biologische Logik) sie sieht.

Und wir, die Zuschauer, glauben, einen Film zu sehen: Ein paar Personen, die bestimmten Handlungen folgen, die sich für uns zu einer Geschichte zusammensetzen. Aber in den Plot eingestreut sind immer wieder Prüfungen, die Tochter zu absolvieren hat. Sie lernt. Mutter lehrt, bereitet sie auf den Neubeginn des Lebens vor. In Wahrheit befinden wir uns nach dem Logical und Tochters Schlüssen daraus – ab etwa Minute 12 – in der KI-Hölle, quasi in Mutters Kopf.

Mutter und „die Frau“

Und da gibt es kein Entrinnen. Alles, buchstäblich alles, was der Film von da an erzählt oder behauptet zu erzählen – Mutter vernichtet eine Maus, weil diese verseucht sein könnte, bei Tochter fließen angesichts der geopferten Maus Tränen; wenig später rebelliert Tochter offen und unterstützt „die Frau“, die vor (unbekannten, das heißt nur behaupteten) Verfolgern in die Einrichtung flüchtet – alles dient nur einem einzigen Zweck: Tochter gleichsam einem ethischen Lehr-Programm zu unterziehen.

Die fremde Frau von draußen – einem Draußen, das ja verseucht und damit unbewohnbar ist – versucht, Tochter gegen Mutter aufzubringen, indem sie ein paar unschöne Vermutungen anstellt. Tochter geht diesen Behauptungen nach und muss feststellen, dass Mutter ihr eine ganze Menge verschwiegen hat. Eine Weile entspinnt sich ein regelrechter Kampf zwischen Mutter und Tochter. Doch die Action, die dabei kurzzeitig aufkommt, endet fast genauso schnell wieder, wie sie begann. Tochter kommt zwar Mutters Geheimnis auf die Spur – das tatsächlich ein ungeheuerliches ist –, muss am Ende aber erkennen und akzeptieren, dass Mutter tatsächlich nur zu ihrem und zum Besten der neu zu schaffenden Menschheit handelt. Am Ende sehen wir, wie sie der Kryo-Anlage einen neuen, männlichen Embryo entnimmt und ihn in den Brüter gibt. Sie wird ihm eine gute Mutter sein, so wie Mutter ihr eine gute Mutter war …

Fazit: Kein Film für Weicheier. Zum einen gilt es ein paar Längen zu überstehen, zu denen Filmneulinge nun einmal neigen. (harastos meint, dass der Film um wenigstens 20 Minuten zu lang geraten ist.) Zum anderen verpflichtet sich der Film einer (praktischen) Ethik, die der idealistischen Aufklärungsethik radikal entgegensteht und die der Film auch unerbittlich zu Ende denkt.

Ex Machina

In Form eines Kammerspiels – drei Personen in einem von der Außenwelt isolierten Haus – kommt der Film Ex Machina (GB 2015) auf die Wurzeln der Robot-Frage zurück: Was macht den Menschen aus? Worin unterscheidet er sich von einer intelligenten Maschine? Gibt es ihn überhaupt: den Unterschied zwischen KI und Mensch? Alex Garland, Schriftsteller (The Beach) und Drehbuchautor (28 Days Later), betritt mit seiner ersten Regiearbeit also philosophisches Minenfeld, auf dem bereits zahlreiche Auseinandersetzungen literarischer und filmischer Art stattgefunden haben.

Anders als die meisten seiner Vorgänger, die zwar Zweifel säen, sich am Ende aber meist auf die Seite des Menschlichen schlagen (am auffallendsten bei Terminator, der Killer-Maschine, die sich für die Menschheit opfert), wird bei Garland schon sehr früh deutlich, dass seine Sympathien der anderen Seite gelten. Und das bringt der Film dann auch konsequent zu Ende.

Caleb, Programmierer bei Bluebook, der weltgrößten Suchmaschine, wird von Nathan, seinem exzentrischen Chef und Multimilliardär, auf das erwähnte Anwesen eingeladen, wo er mit Ava, der Maschine in Menschengestalt, konfrontiert wird. Es geht um einen erweiterten Turing-Test: Caleb soll herausfinden, ob Ava wirkliche Gefühle empfindet oder ob sie diese nur simuliert. Die erste Hälfte des Films widmet sich in zahlreichen Dialogen zwischen Ava und Caleb, Sessions genannt, allein dieser Frage – wobei man hier durchaus ein paar Längen unterstellen könnte. Doch kommt es, wie es kommen soll: Caleb und Ava entwickeln Gefühle füreinander. Als Ava erfährt, dass Nathan beabsichtigt, sie durch ein besseres Modell zu ersetzen, beschließt sie zu fliehen. Caleb erklärt sich bereit, ihr dabei zu helfen.

Doch Caleb ist sich seiner Gefühle keineswegs sicher. Um sich angesichts seiner Zuneigung zu einer Maschine seiner Menschlichkeit zu vergewissern, schlitzt er sich vor dem Spiegel mit einem Messer den Unterarm auf, bis Blut fließt. Hier zitiert der Film am augenfälligsten, denn mit einer analogen Szene beweist der Terminator, dass er kein Mensch, sondern eine Maschine ist.

Doch kurz bevor es zur Flucht kommt, versetzt Nathan Caleb noch einen Tiefschlag: Er eröffnet ihm, dass er die Flucht Avas eingeplant habe. Um nach draußen zu gelangen, „musste sie alles anwenden: Selbstwahrnehmung und Fantasie, Manipulation, Sexualität, Empathie – und das hat sie getan“. Neben dem Zweifel an sich selbst kommt bei Caleb nun auch der Zweifel an Ava hoch: Hat sie die Gefühle für ihn doch nur simuliert, um ans Ziel zu kommen?

Während der Flucht, die die letzten 20 Minuten des Films einnimmt, stellt Ava mehrmals unter Beweis, dass ihre Gefühle für Caleb keineswegs simuliert waren oder sind. Aber Caleb ist unfähig, das zu erkennen, geschweige denn zu akzeptieren. Er bleibt Gefangener seiner menschlichen (und männlichen) Psyche. Und so tritt am Ende als Einzige Ava, die Maschine, den Weg hinaus in die Freiheit an. Caleb bleibt zurück auch als physisch Gefangener in Nathans Anwesen. (Nathan selbst kommt durch die Hand Avas ums Leben.)

Fazit: Es ist der Mensch, der den Turing-Test nicht besteht.