16. Die (schwere) Geburt Apollos
Zwei Wochen nach Vanguard und fast zwei Monate vor dem Start von Explorer 1 machte Wernher von Braun am 14. Dezember 1957 seine erste Aussage in der öffentlichen Anhörung des Senats. Um die Zersplitterung der amerikanischen Weltraumaktivitäten zu beenden – Army, Navy und Air Force werkelten unabhängig an je eigenen Raketenprogrammen, nichts war aufeinander abgestimmt – schlug er die Gründung einer nationalen Organisation vor, die alle militärischen und zivilen Raumfahrtprogramme unter einem Dach vereinen sollte. Um die Dringlichkeit zu betonen, verwies er auf die Sowjets: „Sie betrachten die Kontrolle des Raums um die Erde … wie … die großen Seemächte die Beherrschung der Meere im 16. bis 18. Jahrhundert, und sie sagen: ‚Wenn wir diesen Planeten kontrollieren wollen, müssen wir den Raum drum herum kontrollieren.'“ Und er gab auch Beispiele an für den desaströsen Zustand der amerikanischen Forschungspolitik in Sachen Raumfahrt. Vor allem mit einem davon schockierte er die Öffentlichkeit.
Nachdem das Verteidigungsministerium im Sommer 1956 das Orbiter-Projekt der Army abgelehnt und sich für Vanguard entschieden hatte, war man in Huntsville keineswegs dazu bereit gewesen, die Arbeit an der Weiterentwicklung der Redstone zu einem Satellitenträger einfach einzustellen. Und schon am 20. September 1956, als noch keine Vanguard auch nur in die Nähe einer Startrampe gekommen war, startete eine mit zusätzlichen Stufen erweiterte Redstone, als Jupiter C bezeichnet. Drei Stufen brachten die Rakete auf die damalige Rekordhöhe von 1.000 Kilometer. Und technisch wäre sogar noch mehr drin gewesen: Mit einer vierten aktiven Stufe (anstelle des tatsächlich montierten Dummys) hätte man ohne Weiteres einen (allerdings sehr kleinen) Satelliten in eine Erdumlaufbahn befördern können. Und das mehr als ein Jahr vor Sputnik! Aber um zu verhindern, dass genau dies passierte, dass also die Army eigenmächtig einen Satelliten startete, hatte das Pentagon auf Betreiben der Navy eigens einen Inspektor ans Kap geschickt. Die Amerikaner hätten also bereits im September 1956, mehr als ein Jahr vor Sputnik 1, einen eigenen Satelliten ins All befördern können, wenn das nicht durch Eifersüchteleien staatlicher Stellen hintertrieben worden wäre.
Der Vorsitzende des Anhörungsausschusses Lyndon B. Johnson nahm die Idee von Brauns auf und schlug im Januar 1958 die Gründung einer Regierungsbehörde vor, der die Durchführung eines großen Weltraumprogramms übertragen werden sollte. Nähere Ausführungen zur Art der Behörde oder des Programms wurden nicht gemacht, dennoch fand dieser Vorschlag im Grundsatz schnell politische Unterstützung.
Wenig später konstatierte James Killian, Sonderbeauftragter Eisenhowers für Science and Technology, im Abschlussbericht einer eigens eingesetzten Kommission, dass dem Weltraum aus drei Gründen „zwangsläufig“ (inevitable) große Bedeutung zukomme: 1. aus verteidigungspolitischer Sicht, 2. aus nationalem Prestige und 3. für die wissenschaftliche Forschung. Gleichzeitig warnte er aber davor, ein „nationales“, das heißt ein großes Weltraumprogramm, von dem Johnson gesprochen hatte, dem Verteidigungsministerium anzuvertrauen, da dann die Gefahr bestehe, dass unter der Last „bombastischer Projektierungen“ (grandiose proposals) der wissenschaftliche Nutzen auf der Strecke bleibe. Daher sei es nötig, wissenschaftliche Weltraumunternehmungen strikt von militärischen zu trennen.
Eisenhower brachte mit einer Note an den Kongress einen Gesetzesentwurf auf den Weg, mit dem die amerikanische Weltraumfahrt und -forschung neu organisiert wurde. Alle zivilen Projekte der Weltraumfahrt sollten einer neu zu gründenden Behörde übertragen werden, der National Aeronautics and Space Agency (NASA). Army, Navy und Air Force hatten sich darauf zu verständigen, welche ihrer Einrichtungen und Programme unter dem neuen Dach vereint werden konnten (was natürlich auch hieß, dass sie damit ihrer direkten Kontrolle entzogen würden). Da sowohl die nötigen Gespräche zwischen den drei Truppenteilen als auch die Verabschiedung des neuen Gesetzes eine gewisse Zeit beanspruchen würde, rief Präsident Dwight D. Eisenhower am 7. Februar 1958 die ARPA, die Behörde für zukunftsweisende Forschungsprojekte (Advanced Research Projects Agency) ins Leben, die kommissarisch die Weltraumaktivitäten koordinieren sollte, bis die NASA diese Arbeit übernehmen konnte.
Schon wenige Woche später hob die ARPA ein eigenes amerikanisches Raumfahrtprogramm aus der Taufe. Nachdem am 15. Mai 1958 eine R-7 in Baikonur Sputnik 3 in den Orbit geschossen hatte – einen Satelliten, der 1,3 Tonnen wog, während amerikanische Satelliten nicht über den ein- oder zweistelligen Kilogramm-Bereich hinauskamen –, griff sie einen Vorschlag des Jet Propulsion Laboratory auf, das bereits nach dem Start von Sputnik 1 den Sowjets Paroli bieten wollte, indem man sich für den ersten amerikanischen Satelliten größere Ziele setzte, als ihn einfach Sputnik hinterher in den irdischen Orbit zu schießen.
Das größere Ziel des JPL war der Mond gewesen, und ganz in diesem Geiste initiierte (und finanzierte) die ARPA das Pioneer-Programm: Da man – auf beiden Seiten – noch nicht so weit war, Raketen auf Umlaufbahnen um den Mond zu bringen – dazu bedarf es ausgeklügelter Lage- und Bremssysteme – schoss man sie wie eine Kanonenkugel Richtung Mond, was auch schon schwieriger ist, als es sich zunächst ausnimmt: Schon ein Schuss auf ein bewegliches Ziel, wie der Mond es ist, stellt, wie jeder Schütze weiß, eine Herausforderung dar; es kommt hinzu, dass sich nicht nur das Ziel bewegt, sondern auch der Schütze, denn die Rakete wird ja von der Erde aus abgefeuert, die sich um sich selbst dreht.
Gelenkt werden kann eine Rakete nur während der Brennphase, die Endgeschwindigkeit der Rakete hängt von der Brenndauer der Triebwerke ab. Am Ende der Brennphase fliegt die Rakete also mit einer bestimmten Geschwindigkeit auf einen Punkt im Raum zu, an dem der Mond sich befinden wird, wenn die Rakete dort ankommt. Fliegt die Rakete zu schnell (die Triebwerke brannten zu lang) verfehlt sie den Mond, weil er noch nicht am Ort ist, fliegt sie zu langsam (die Triebwerke brannten zu kurz) verfehlt sie ihn, weil er bereits weiter gezogen ist. Durch die Entfernung von knapp 400.000 Kilometer zeitigt jede Sekunde zu viel oder zu wenig Brennzeit eine enorme Auswirkung.
Den Anfang machte die Air Force: Am 17. August 1958 startete sie den ersten Pioneer-Satelliten (Pioneer 0 genannt). Er wog 38 Kilogramm, sollte nahe am Mond vorbeifliegen und dabei Aufnahmen von seiner Oberfläche machen. Aber 77 Sekunden nach Zündung der ersten Stufe, in 16 Kilometer Höhe, endete die Mission in einer Explosion: Rakete und Satellit wurden zerstört. Auch Pioneer 1 (im Oktober gestartet) und 2 (November) sollten bei einem Vorbeiflug Aufnahmen der lunaren Oberfläche liefern. Doch erreichte die Rakete in beiden Fällen nicht die erforderliche Endgeschwindigkeit, sodass die Satelliten wieder auf die Erde zurückfielen und dabei in der Erdatmosphäre verglühten. Für ihre drei gescheiterten Starts verwendete die Air Force eine Thor-Rakete, die erst zwischen 1955 und 1956 als Mittelstreckenrakete für Atombomben entwickelt und danach zu einem Satellitenträger umgerüstet wurde.
Im Dezember folgte die Army mit ihrem ersten Pioneer-Start: Pioneer 3 wog nur knapp 6 Kilogramm und hatte ebenfalls eine Kamera an Bord, die beim Vorbeiflug Aufnahmen von der Mondoberfläche machen sollte. Die Rakete, eine Juno 2, ein weiterer Redstone-Ableger, entwickelte aber, wie vor ihr die Thor, zu wenig Schub und der Satellit erreichte nur ein Viertel Mondentfernung (rund 100.000 Kilometer); der mitgeführte Strahlungsempfänger zeigte immerhin, dass es nicht nur einen, sondern zwei Van-Allen-Gürtel gab. Und von Braun interpretierte im Fernsehen in der Sendung Meet the Press am Sonntag, dem 7. Dezember, das Versagen des Raketenstarts als Vorteil, denn die Wissenschaftler hätten so zwei Querschnitte der beiden Gürtel erhalten, einen beim Aufstieg, einen beim Abstieg.
Schon am 2. Januar des neuen Jahres wurde dieser (Teil-)Erfolg aber deutlich relativiert, denn in Baikonur hob wieder einmal eine R-7 ab; diesmal stemmte sie Lunik 1, einen Satelliten von 360 Kilogramm Gewicht, Richtung Mond, den sie zwar genauso verfehlte wie die amerikanischen Pioneer-Sonden, ihm aber immerhin auf 6.000 Kilometer nahe kam. Die Messgeräte der Sonde (sie führte keine Kamera mit) lieferten Daten zum Sonnenwind und erstmals wurde festgestellt, dass der Mond über kein nennenswertes Magnetfeld verfügt.
Auch Pioneer 4, von der Army im März gestartet, konnte da nicht mithalten: Sie kam dem Mond auf 60.000 Kilometer nahe (was für die geplanten Aufnahmen wieder nicht reichte) und bestätigte ansonsten die Strahlungsmessungen von Pioneer 3. Und endgültig verloren ging das erste, unbemannte Wettrennen zum Mond im September des gleichen Jahres, als Lunik 2, sie wog fast 400 Kilogramm, hart auf dem Mond aufschlug (was so geplant war) und damit als erstes von Menschenhand gefertigte Stück Technik einen anderen Himmelskörper erreichte.
Der gewählte Termin für den Start von Lunik 2 diente außerdem ganz direkt der politischen Propaganda, denn er erfolgte nur wenige Tage vor dem Staatsbesuch von Nikita Chruschtschow in den Vereinigten Staaten. Ein Zeichen, das seine Wirkung (auch militärisch) nicht verfehlte: Die Sowjets konnten offenbar nicht nur tonnenschweres Gerät in einen Erdorbit schießen, sondern auch Satelliten zum Mond, die mindestens zehn Mal (nimmt man Pioneer 0 bis 2 als Vergleich) oder sogar 50 Mal (mit Pioneer 3 und 4 als Vergleichsmaßstab) so schwer waren wie die amerikanischen. Jedes Ziel in den USA war damit für schwere Lasten, das mussten ja nicht Messgeräte sein, erreichbar.
Nur einen Monat später unterstrichen die Sowjets ihre technische Überlegenheit: Am 4. Oktober 1959, zum zweiten Jahrestag des Starts von Sputnik 1, mit dem die amerikanische Weltraummisere begonnen hatte, brach Lunik 3 zum Mond auf. Drei Tage darauf lieferte ihr installiertes Kamerasystem die ersten (wenn auch noch recht unscharfen) Fotos von der Rückseite des Mondes, die bis dahin noch nie ein Mensch zuvor gesehen hatte …
Auch direkt vor der amerikanischen Haustür tat sich Revolutionäres: Am Neujahrstag des Jahres 1959 endete mit dem Sieg der Bewegung des 26. Juli unter Führung Fidel Castros das diktatorische Regime des kubanischen Präsidenten Fulgencio Batista.
Der Name der Bewegung bezieht sich auf den 26. Juli 1953: An diesem Tag stürmte eine Gruppe von etwa 120 Männern unter Führung Fidel Castros die Moncada-Kaserne, um sich mit Waffen für den Kampf gegen das Batista-Regime zu versorgen. Der Angriff ging jedoch schief. Einige Angreifer wurden während der Aktion getötet, rund 50 weitere bei der anschließenden Jagd auf die Rebellen. Ein Bischof der katholischen Kirche (!) erreichte, dass den Rebellen ein ordentlicher und öffentlicher Prozess gemacht wurde. Die Beteiligten wurden zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, kamen aber 1955 im Zuge einer Generalamnestie wieder frei. Der Überfall auf die Moncada-Kaserne, obwohl gescheitert, machte Fidel Castro landesweit zu einer Berühmtheit und nötigte auch seinen Gegnern Respekt ab.
Die Bewegung forderte die Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheiten, die die Verfassung von 1940 garantiert hatte, aber von Batista (1940 noch in freien Wahlen zum Präsidenten gewählt) immer mehr eingeschränkt und schließlich praktisch außer Kraft gesetzt worden war. Ihre Repräsentanten, allesamt bürgerlich bis konservativ, bekämpften ursprünglich vor allem die Korruption der etablierten Parteien – Castro selbst kam aus der Orthodoxen Partei (Wahlspruch „Ehre statt Geld“) –, verbanden dies jedoch mit der Forderung nach Sozial- und Landreformen, um die Armut vor allem der Landbevölkerung zu lindern. In den sieben Jahren ihrer Existenz hatte die Bewegung des 26. Juli die Unterstützung breiter Bevölkerungskreise gewonnen, darunter auch zum Beispiel die der Bacardi-Familie, die zu den reichsten und mächtigsten Clans des Landes gehörte. Als die Revolutionäre noch 1959 ihre sozialen Vorstellungen in die Tat umzusetzen begannen und Ländereien sowie Firmen enteigneten (die sich vielfach in amerikanischem Besitz befanden), ging das sehr bald sowohl den USA als auch der besitzenden Klasse in Kuba zu weit in Sachen Sozialreform. Die kubanische Oberschicht (darunter auch die Bacardis) wanderte aus Kuba in die USA ab, wo sie als „Exilkubaner“ zunehmend an Einfluss gewann. Es begann ein ideologischer und ökonomischer Kleinkrieg zwischen „Exilkuba“ und Castro-Kuba. Letzteres suchte und fand Unterstützung bei kommunistischen Staaten wie der Sowjetunion, der DDR oder der Volksrepublik China. Erst im April 1961 bezeichnete Fidel Castro den Sieg seiner Bewegung öffentlich als „sozialistische Revolution“.
Während das amerikanische Establishment in der sozialen Bewegung Castros von Anfang an einen sozialistischen Alptraum zu erkennen glaubte, bedeutete das für einen jungen amerikanischen Soldaten des Jahres 1959 im US Marine Corps wahrscheinlich einen Lichtstreif Hoffnung vor dunklem Hintergrund. Lee Harvey Oswald, noch keine 20 Jahre alt (geboren im Oktober 1939 in New Orleans), hoch intelligent, aber verschlossen, guter Schütze, ansonsten bei der Navy aber nicht aufgefallen, befasste sich in seiner Freizeit mit den Schriften des Marxismus-Leninismus (bei Marines eher selten) und lernte sogar Russisch (bei Amerikanern im Allgemeinen selten). Der sozialen Revolution Castros brachte er die Sympathie des introvertierten Träumers entgegen.
Im Sommer 1959 ersuchte er um die Entlassung aus dem Militärdienst (als Grund gab er den Gesundheitszustand seiner Mutter an), was ihm Anfang September gewährt wurde. Bereits einen Monat später reiste er, nachdem er zunächst geplant hatte, sich nach Kuba abzusetzen, in die Sowjetunion, das Kernland des Kommunismus, außerdem hatte er russisch und nicht spanisch gelernt. Innerhalb nur weniger Wochen waren also Nikita Chruschtschow, Lee Harvey Oswald und die Sonde Lunik 3 unterwegs: Chruschtschow von Russland nach Amerika, Oswald von Amerika nach Russland und Lunik 3 von der Erde zum Mond.
Chruschtschow wurde bei seiner Ankunft in den USA behandelt als der Inbegriff des (bolschewistisch) Bösen; im Laufe seiner Reise durch die Staaten, begleitet von Hunderten von Medienvertretern, geschah jedoch etwas Unerwartetes: Zunehmend begegnete man ihm, von politischer wie journalistischer Seite, mit Respekt. Lee Harvey Oswald traf am 16. Oktober 1959 in Moskau ein und stellte den Antrag auf Erteilung der russischen Staatsbürgerschaft, erhielt zunächst aber nur eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung. Eine Woche darauf, am 22. Oktober, riss der Funkkontakt zu Lunik 3 ab; im April 1960 verglühte die Sonde in der Erdatmosphäre.
Lee Harvey Oswald hatte da schon ein neues Leben in der Sowjetunion begonnen, arbeitete seit Januar 1960 in einem Radio- und Fernsehwerk in Minsk (heute Weißrussland). Aber natürlich war er kein gewöhnlicher Bauer oder Arbeiter, sondern (aus sowjetischer Sicht) ein potenzieller Spion. Ein Wort, das zu dieser Zeit (auf beiden Seiten) beinahe mystischen Charakter gewann. Die Sowjets allerdings wussten nichts Rechtes mit ihm anzufangen. War das die Art von Spion, die der Westen jetzt losschickte?
Oswald wurde ein Jahr lang rund um die Uhr überwacht und immer wieder vernommen. Verwertbare Ergebnisse kamen dabei nicht heraus. Also ließ man ihn drei Jahre unbehelligt im Land leben; er heiratete Marina Nikolajewna Prussakowa, gründete mit ihr eine Familie. Und auch als er wieder weg wollte, legte man ihm keine Steine in den Weg.
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In Huntsville – von Amerikanern auch als Peenemünde Süd oder als Hunsville (Hunnenstadt) bezeichnet, weil dort ehemalige deutsche Krieger das Sagen hatten – feierte man den Teilerfolg von Pioneer 3 und 4. Nicht ganz zu Unrecht, war Anfang 1959 das von Braun’sche Raketenteam doch das einzige, das überhaupt Erfolge (und seien es Teilerfolge) in der amerikanischen Weltraumfahrt aufzuweisen hatte.
Nicht gefeiert wurde hingegen ein zweites Programm, das die ARPA bereits Mitte 1958 initiiert hatte. War Pioneer darauf ausgerichtet, aus vorhandener Technik das Maximum herauszuholen, so war die Entscheidung vom 15. August 1958 ein Griff in die Zukunft. Man könnte diesen Tag als den frühestmöglichen Geburts-Tag des Apollo-Projektes bezeichnen, obgleich weder der Name noch überhaupt ein Programm mit einer klaren Zielvorgabe existierte, dem man einen Namen hätte geben können (was sich aber erstaunlich schnell ändern sollte).
Die ARPA erteilte – auch das noch unter dem Eindruck des 1,3 Tonnen schweren Sputnik 3 – unter der laufenden Nummer 14 an jenem 15. August 1958 Huntsville den Auftrag, eine Schwerlastrakete mit einem Schub von 1,5 Millionen amerikanischer Pfund (das sind 681.000 Kilogramm) „auf der Basis eines Clusters von verfügbaren Raketentriebwerken“ zu entwickeln. Die ARPA stellte dafür eine Summe von 10 Millionen Dollar zur Verfügung; bis Ende 1959 sollte eine erste Testzündung des Aggregats erfolgen. Mit den bereits „verfügbaren Raketentriebwerken“ war das S-3D-Triebwerk gemeint, das in der militärischen Variante der Jupiter-Rakete Verwendung fand. Huntsville entwarf darauf aufbauend das Design der Schwerlastrakete, das den geforderten Schub von 1,5 Millionen Pfund erreichte; die verwendeten Triebwerke, H1 genannt, waren eine Weiterentwicklung des S-3D und wurden in der ersten Stufe zu einem Cluster von acht Stück gebündelt. Doch die ARPA war als Übergangs- oder Zwischenlösung gedacht und ob ihre langfristigen Projekte von der NASA-Verwaltung übernommen und finanziert würden, war keineswegs sicher, weshalb Huntsville trotz dieser offiziellen Order keine wirkliche Planungssicherheit hatte (worauf von Braun stets großen Wert legte).
Mitte 1958 wurde dann Einigung darüber erzielt, dass das National Advisory Committee of Aeronautics (NACA) mit seinen rund 7.000 Mitarbeitern zum Kern der NASA würde; das NACA war 1915 vom amerikanischen Kongress ins Leben gerufen worden, um den Rückstand aufzuholen, in den die amerikanische Luftfahrt nach dem Erstflug der Gebrüder Wright 1903 gegenüber der europäischen geraten war. Neben dem NACA übernahm die NASA auch die Vanguard-Gruppe um Milton Rosen, das Jet Propulsion Laboratory, das Explorer 1 gebaut hatte, das Pioneer-Programm der ARPA, das Programm Man in Space Soonest der Air Force, das in der Theorie, einen Menschen in einen Orbit zu bringen, schon weit fortgeschritten war. In der Praxis hatte man sogar schon eine Auswahl von Testpiloten getroffen, darunter auch einen gewissen Neil Armstrong, der später als einziger dieser ersten Astronautenauswahl auch tatsächlich als Astronaut flog.
Was Huntsville betraf, kamen zunächst Zweifel auf, ob sich die NASA neben dem NACA eine weitere große Organisation mit mehreren tausend Angestellten, wie Huntsville es darstellte, leisten sollte oder überhaupt konnte. Abraham „Abe“ Silverstein, vom NACA kommend, jetzt Leiter der Abteilung für Raumfahrtunternehmungen der NASA, schlug vor, rund 2.000 Huntsviller, weniger als die Hälfte, zu übernehmen. Für von Braun war das inakzeptabel: „Es würde wenig klug sein, die Auflösung eines solchen Aktivpostens zu riskieren zu einer Zeit, wo die nationale Sicherheit und das Prestige vereinte Bemühungen erfordern, die Überlegenheit in der Raketen- und Raumtechnologie zu erreichen und zu erhalten.“ Die amerikanische Presse stellte sich fast geschlossen hinter von Braun, „America’s No. 1 Space Scientist“ (Baltimore Sun), und der Präsident entschied, Huntsville als Ganzes in die NASA zu integrieren.
Und aus dem einzelnen Schwerlastträger wurde eine ganze Raketen-Familie, die Raketen unterschiedlicher Schubstärke umfassen sollte; dieses Raketenprogramm lief fortan, nach einem Vorschlag von Brauns, unter dem Namen Saturn – die konzipierte Schwerlastrakete wurde zur Saturn 1 –, benannt nach dem Planeten, der im Sonnensystem (auswärts) auf Jupiter folgt. In der altrömischen Mythologie ist Saturn Vater des Jupiter; zudem ist er das Symbol für die Saturnia regia, eines mystischen Goldenen Zeitalters der Vorzeit. Das Fest des Saturn, die Saturnalien, begangen Mitte Dezember, waren die größten Feiertage im antiken Rom. Aus ihnen entstand später das christliche Weihnachtsfest.
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Im November 1958 beschloss dann die NASA, ihre ersten bemannten Schritte in den Weltraum mit dem Programm Man in Space Soonest der Air Force zu unternehmen. Als Raketen wählte man die bereits ausgetestete Redstone (für suborbitale Flüge) und die noch neue, aber schubstärkere Atlas (für orbitale Flüge). Es wurde eigens die Space Task Force gegründet, die unter der Leitung von Robert Gilruth die Durchführung des Programms übernahm. Der schwerfällige Name wurde von Abe Silverstein in Mercury geändert – nach dem altrömischen Götterboten Mercurius, dessen Namen seit 1939 ein in den USA sehr populäres Auto (der Marke Ford) trug. Mercury galt dem Wettlauf um den ersten Menschen im Erdorbit, den die Sowjets offenbar schon ein Jahr zuvor eröffnet hatten, als sie mit Sputnik 2 die Hündin Laika hochschossen.
Dass Mercurius auch Schutzpatron der Diebe und anderer Kleinganoven war, wusste Silverstein offenbar nicht. Ob der Autobauer Ford es wusste, ist möglich, aber nicht sicher. Gesehen wird Mercurius in der Regel als agiler Bote der Götter, was ihn als Namensgeber für „schnelle Dinge“ wie Autos oder Raumschiffe geeignet macht. Das ist auch der Grund, warum im Mittelalter das Element Quecksilber, dessen silbrige Tröpfchen zittrig-rasche Bewegungen ausführen, im Englischen nach Mercurius benannt wurde und bis heute so – Mercury – heißt; das deutsche Wort queck in Quecksilber geht zurück auf althochdeutsch quic oder quec, was quirlig, lebendig heißt. Und der innerste Planet Merkur heißt so, weil er sich am schnellsten um die Sonne bewegt.
Obgleich Mercury im Laufe des Jahres 1959 erst allmählich in Gang kam, machte man sich bei der NASA bereits ab Jahresbeginn Gedanken über ein bemanntes Nachfolgeprojekt. Von Anfang an galt dabei dem Mond das Hauptinteresse, den die ARPA und das Jet Propulsion Laboratory ins Spiel gebracht hatten. Einfach, weil er das größte Potenzial bot, gegen die Russen jenseits von Pioneer (wo sie die Amerikaner bereits geschlagen hatten) und Mercury (wo sie ihnen noch zuvorkommen könnten) anzutreten.
Schon im Januar 1959 sprach Wernher von Braun vor einem internen NASA-Ausschuss davon, dass es möglich sei, innerhalb der nächsten 8 bis 10 Jahre mit einem bemannten Raumschiff den Mond zu umrunden und ein paar Jahre darauf, Mitte der 1970er Jahre, einen Menschen auf dem Mond zu landen. Anfang Februar – wenige Wochen nach der nahen Mondpassage von Lunik 1 – wurde von der NASA die Working Group on Lunar Exploration ins Leben gerufen, die sich neben unbemannten Mondsatelliten und Mondlandern auch mit bemannten Raumschiffen zur Mondumrundung befasste (und für den Transport zum Mond eine Saturn 1 für geeignet hielt). Auch die Space Task Group sprach sich für eine bemannte Mondlandung als langfristiges Ziel der amerikanischen Raumfahrt aus.
Im April 1959 setzte die US-Regierung den Goett-Ausschuss ein, der die technischen Möglichkeiten im Bereich der bemannten Raumfahrt untersuchen sollte; benannt war er seinem Vorsitzenden Harry J. Goett, einem Raumfahrt-Ingenieur, der von 1959 bis 1965 das Goddard Space Flight Center geleitet hatte. Im Oktober legte der Ausschuss seinen Abschluss-Bericht vor, was zu einem „Meilenstein in der Geschichte des Mondprojekts“ wurde, denn als Fazit empfahl er der NASA, eine bemannte Mondlandemission aufzulegen.
Und im Dezember entschied das Saturn Vehicle Evaluation Committee unter dem Vorsitz von Abe Silverstein, dem Direktor der Raumfahrtentwicklung der NASA, dass als Treibstoff für die oberen Stufen der Saturn-Raketen nicht die von Huntsville bevorzugte Kombination aus flüssigem Sauerstoff plus Kerosin, sondern die sehr viel energiereichere Kombination aus flüssigem Sauerstoff und flüssigem Wasserstoff zu verwenden sei.
Von Braun war zunächst gegen diese Entscheidung; Wasserstoff liefert zwar mehr Energie als Kerosin (oder auch Alkohol), ist aber auch „wegen seiner extremen Flüchtigkeit und seiner enormen Entflammbarkeit … weitaus gefährlicher als jeder andere Raketentreibstoff“. Aber er ließ sich von Silverstein schnell überzeugen; zum einen wogen die Vorteile sehr schwer – es lässt sich erheblich mehr Nutzlast transportieren – und zum anderen basierte Abe Silversteins Entscheidung „auf einer reichen Erfahrung, die er während eines Entwicklungsprogramms für H2O2-Raketenmotoren gewonnen hatte. Dieses langjährige Programm war unter seiner Leitung am Lewis-Forschungszentrum der NASA in Cleveland, Ohio, in Zusammenarbeit mit industriellen Auftragnehmern … durchgeführt worden.“
Im Januar 1960 wurde das bisher namenlose, stets und umständlich als bemanntes Mondlandeprogramm bezeichnete Projekt, endlich getauft. Wo und wie dies geschah, darüber gibt es mehrere, leicht voneinander abweichende Versionen. Unstrittig ist das Wer: Wie bei Mercury war es Abe Silverstein, der den Einfall hatte, das Mondlandeprogramm nach einem griechischen Gott zu benennen. Nach einer Lesart kam ihm der Gedanke bei einem informellen Mittagessen einfach so, „ohne besonderen Grund“, nach einer anderen, als er zu Hause in einem Buch über griechische Mythologie blätterte und dabei auf das Bild des Gottes Apollo stieß, wie er „in seinem von Pferden gezogenen Triumphwagen über den Himmel jagte“ – ein Bild, das ihm für das ehrgeizige Mondprogramm angemessen schien.
Am 1. Februar 1960 legte ein Team um Wernher von Braun die Studie A Lunar Exploration Program Based upon Saturn-Boosted Systems vor, die eine erweiterte Fassung des von Braun’schen Vortrags von Anfang 1959 darstellte. Darin wurden ausführliche Missionsbeschreibungen von unbemannten und bemannten Mondumrundungen und -landungen samt kompletter Infrastruktur zum Bau des dafür nötigen Equipments wie der Rakete, der Raumschiffe und der Mondlander gegeben. Das Goddard Space Flight Center fertigte Studien zu dem für einen Wiedereintritt notwendigen Hitzeschild des Raumschiffs an. Die Grumman Aircraft Engineering Corporation (die später die Mondfähre bauen wird) stellte ihr Programm zur Entwicklung eines über die Mercury-Kapsel hinausgehenden Raumschiffs vor. Die Space Task Force befasste sich mit Szenarien, wie ein solches Raumschiff unter Einsatz einer Saturn-Rakete getestet werden könnte. Anfang Juli schließlich schlägt ein NASA-internes Komitee vor, dem amerikanischen Kongress ein Programm für eine bemannte Mond-Expedition vorzulegen, um damit die Weltraumforschung, die „bisher zwar gut, aber nicht gut genug“ sei, zu beschleunigen.
Öffentlich als „erweitertes Ziel der bemannten amerikanischen Raumfahrt“ wurde Apollo am 28. Juli 1960 verkündet; gleichzeitig wurden bereits Gespräche mit Unternehmen der Luftfahrt aufgenommen. Einen Tag darauf endete allerdings der erste Start einer Atlas-Rakete, die innerhalb des Mercury-Programms den ersten Amerikaner in einen Orbit transportieren sollte, in einem (weiteren) fiaskösen Fehlschlag: Die Rakete explodierte 3 Minuten nach dem Start in 9 Kilometer Höhe. Was vielleicht der Grund dafür ist, warum auch dieser mögliche Geburts-Tag des Apollo-Programms bis heute nicht als solcher empfunden wird. Dennoch wurde damit das Apollo-Programm mit einer klaren Zielvorgabe – nämlich dem Erreichen des Mondes – auf den Weg gebracht.
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Mit Mercury – die erste (unbemannte) Kapsel wurde (suborbital) am 9. September 1959 in den Weltraum geschossen – traten die USA zum dritten Mal zu einem Wettlauf gegen die Sowjetunion an: Diesmal ging es darum, wem es gelang, den ersten Menschen in den Weltraum zu bringen. Anfang 1958 legte die Space Task Group die Kriterien fest, die künftige Astronauten zu erfüllen hatten: Alter unter 40 Jahre, Körpergröße unter 1,80 Meter, beste körperliche Verfassung, mindestens ein Bachelor-Grad, Absolvent einer militärischen Testpilotenakademie mit mindestens 1.500 Stunden Flugerfahrung, qualifizierter Jet-Pilot.
Aus 110 Männern, die diese Kriterien nach Aktenlage erfüllten, wurden in wochenlangen medizinischen Untersuchungen sieben Testpiloten ausgewählt, die die NASA Mitte April 1959 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellte. Es war der Beginn eines unglaublichen Medien-Hypes: Die „Mercury Seven“ – die Zahl 7 avancierte innerhalb des Mercury-Programms zu einer Art magischem Symbol – wurden zu „Helden der Nation“; ein neuer Traumberuf, der des Astronauten, wurde geboren, die Home Story erfunden – Astronauten wurden nicht nur definiert durch das, was sie beruflich taten (oder bald tun sollten), sondern durch ihr gesamtes privates Umfeld. Nichts war zu gering, als dass es der Erwähnung für unwert erachtet wurde.
Mit Mercury gewann im Jahr 1959 wieder Oberhand, was partiell, wenn vornehmlich auch nur theoretisch, bereits überwunden schien: das Militärische. Die Mercury Seven zogen in den (allerdings Kalten) Krieg gegen die Sowjets. Die Missionen, die Ziele, die Personen im Rampenlicht des Programms – alles wurde als Krieg mit anderen Mitteln gegen die Sowjets gedacht und beschrieben. Mercury wurde zu einer neuen Metapher für eine alte Sache: den Zweikampf.
„Der Zweikampf“, so Tom Wolfe, „war in der vorchristlichen Zeit in der ganzen Welt verbreitet und hatte sich in einigen Gegenden bis weit ins Mittelalter hinein erhalten. Der bedeutendste Krieger eines Heeres hatte im Zweikampf, als Ersatz für eine offene Feldschlacht zwischen den gesamten Streitkräften, gegen den bedeutendsten Krieger der anderen Armee anzutreten.“ Jeder dieser auserwählten Krieger musste, genau wie Astronauten, über „das gewisse Etwas“ verfügen. Das gewisse Etwas heißt im Englischen The Right Stoff und das ist der Originaltitel von Tom Wolfes Reportage-Roman Die Helden der Nation. Mythisch aufgeladen wurde Mercury durch die ur-amerikanisch verstandenen Tugenden Familie, Gott und Vaterland. Und so wurde aus Mercury eine so kitschige wie martialische Melange aus „Heim & Herd & Flagge“.
Die Mehrheit der Amerikaner berauschte sich an diesem technologischen Stellvertreterkrieg – außer Lee Harvey Oswald, der noch immer in der Sowjetunion weilte – durch alle Fehlschläge und Peinlichkeiten hindurch, die das Mercury-Programm bis ins Jahr 1960 hinein reichlich zu bieten hatte. Als es die Atlas-Rakete beim Erststart in 9 Kilometer Höhe zerriss, waren die Mercury Seven vor Ort dabei. Die Explosion festigte aber nur ihre Rolle als todesmutige Krieger, denen kein Opfer zu groß war im Dienste der vaterländischen Ehre. Dass es womöglich doch größere Opfer zu bringen galt – nämlich sich lächerlich zu machen – zeigte der Erststart der menschentauglich gemachten („man rated“) Redstone am 21. November 1960, der in purem Slapstick ausartete, wie ihn sich kein noch so schlechter Drehbuchautor hätte einfallen lassen dürfen.
Auch diesem Start wohnten Hunderte von Ehrengästen bei (darunter auch wieder die Mercury Seven). Die Rakete zündete ordnungsgemäß, aber als sie eine Höhe von rund zehn Zentimetern (in Zahlen: 0,1 m) erreicht hatte, erlosch der Feuerstrahl und die Rakete sank auf die Startplattform zurück, wo sie „wie betrunken schlingernd“ stehen blieb. Die Menge, „mucksmäuschenstill und wie vom Donner gerührt“, erwartete das Unvermeidliche: den Feuerball, in dem die Redstone aufgehen würde wie einst die Vanguard. Die Peenemünder im Startbunker fielen geschockt in ihre deutsche Muttersprache zurück, wovon sich Chris Kraft, der Flugdirektor, genervt zeigte. Doch die Explosion blieb aus. Stattdessen zündete lärmend der Fluchtturm, stieg bis auf eine Höhe von 1.300 Meter und sank dann still am Fallschirm schwebend zu Boden.
Aber die Show, die die Redstone an diesem Tag bot, war damit noch nicht zu Ende: An der Spitze der Kapsel, die von ihrem Rettungsturm im Stich gelassen worden war, ploppten die drei Landefallschirme aus und legten sich in elegantem Faltenwurf um die bis zur Halskrause vollgetankte Rakete, die noch immer bedrohlich schwankte. Ein Peenemünder empfahl ernsthaft und wenig zimperlich, mit einem Gewehr Löcher in den Sauerstofftank zu schießen, um damit Druck abzulassen. Chris Kraft wies diesen „absonderlichen Vorschlag“ entsetzt zurück und gab Order, einfach abzuwarten, bis sich die Batterien über Nacht entladen hatten und sich die Ventile des Tanks von selbst öffnen würden, was den Flüssigsauerstoff dann verdunsten ließ.
Der Zeitpunkt dieser Peinlichkeit, die Wernher von Braun, jedoch erfolglos, als „kleine Panne“ zu beschönigen versuchte, hätte nicht ungünstiger sein können. Am 8. November 1960 hatte der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, John F. Kennedy, die Wahl zum 35. Präsidenten der USA gewonnen. Im Wahlkampf war er als massiver Kritiker der Politik Eisenhowers aufgetreten, da diese zur so genannten „Raketenlücke“ geführt habe: Bei der Stationierung von mit Atomwaffen bestückten Raketen sei die USA gegenüber der Sowjetunion schwer in Rückstand geraten. Die NASA sah er dabei als Teil des Problems, da sie viel zu viel Ressourcen abziehe von den wirklich notwendigen Maßnahmen. „Die kostspieligen Zeitverluste“, so Kennedy in einer seiner ersten Reden Anfang 1961, „die bisher unsere Raketenwaffe lähmten, müssen verschwinden.“
Sein Wissenschaftsberater, Jerome Wiesner vom Massachusetts Institute of Technology, nannte die „kostspieligen Zeitverluste“ Kennedys beim Namen: Er sah in Mercury eine „schmutzige, aber schnelle“ Angelegenheit, die Eisenhower unter dem Eindruck des Sputnik-Schocks aufgedrängt worden sei, um vor den Russen den ersten Menschen in den Weltraum zu bringen. Schmutzig sei Mercury noch immer, aber, schlimmer noch, statt schneller Erfolge habe man bisher nichts Vorzeigbares aufzuweisen.
Mercury und damit auch Apollo, das die NASA ja bereits beschlossen hatte, drohte in gefährliches Fahrwasser zu geraten, wenn die neue Regierung in Washington erst einmal damit begann, die NASA-Programme und -Projekte zu evaluieren. Die gesamte zivile Infrastruktur, die in der Weltraumforschung seit dem Sputnik-Schock stetig ausgebaut worden war – und damit auch Zigtausende von Arbeitsplätzen – stand auf dem Spiel. Setzte sich die Kennedy-Administration durch, würde die Weltraumtechnik bald nur noch aus militärischen Projekten zur Entwicklung und Produktion von Raketen als Waffenträger bestehen. Da Raketen aber Raketen sind – wofür sie eingesetzt werden, muss ihre Erbauer nicht interessieren –, sah Huntsville in Kennedy einen Hoffnungsträger. Von Braun glaubte, nein, vermutlich war er sicher – er hatte mit der finanziellen Power des Militärs ja Erfahrung –, dass bei diesen Programmen immer noch genug für seine Saturn-Raketen abfiele.
Neben den inneramerikanischen Problemen, denen sich das Mercury-Programm und damit auch Gilruth, als Chef der Space Task Group, gegenübersah, trieb das sowjetische Weltraumprogramm auch im Jahr 1960 die Amerikaner vor sich her. Auf die Lunik-Sonden des Vorjahres folgten weitere Satelliten der Sputnik-Serie: Nach einem unbemannten Teststart wurde am 19. August 1960 der 4,6 Tonnen schwere Korabl-Sputnik 2 gestartet. Russisch korabl heißt Schiff; vielleicht sollt das eine Anspielung sein auf die im Vergleich immer nochleichtgewichtigen amerikanischen Raumschiffe (die Mercury-Kapsel wog nur 1,3 Tonnen).
An Bord befanden sich Belka und Strelka, zwei Hunde, die nach fast 24 Stunden im Orbit wieder lebend und unbeschadet zur Erde zurückgeholt wurden. Am 1. Dezember folgte Korabl-Sputnik 3; auch er wog 4,6 Tonnen und hatte zwei Hunde an Bord, Ptscholka und Muschka. Der Satellit erreichte den Orbit, wo er ebenfalls rund einen Tag um die Erde kreiste, bei der Rückkehr zur Erde trat er aber in zu steilem Winkel in die Atmosphäre ein und verglühte. Trotz dieses Misserfolgs standen die Sowjets offenbar kurz davor, statt Hunden einen Menschen in den Orbit zu befördern.
Im Projekt Mercury arbeitete man nicht mit Hunden als Versuchstieren, sondern mit Schimpansen. Am 31. Januar 1961 (Kennedy war seit 11 Tagen im Amt) saß das Versuchstier Nummer 61, das der Öffentlichkeit, weil es besser klang, einen Tag zuvor als Ham vorgestellt worden war, in der Mercury-Kapsel an der Spitze einer Redstone, bereit für den ersten „bemannten“ suborbitalen Testflug der Amerikaner. Der Start verzögerte sich wegen diverser technischer Probleme um vier Stunden und erfolgte um 11.55 Uhr Ortszeit. Die Mission mit der offiziellen Bezeichnung Mercury-Redstone 2 sollte den gesamten Ablauf eines Mercury-Fluges austesten: vom technischen Equipment – Rakete, Kapsel, Rettungssystem, Hitzeschild, Fallschirme und so weiter –, über das Kommunikationsnetz, für das rund um die Erde eine (fast) geschlossene Funkstrecke durch Radioantennen eingerichtet wurde, bis hin zum Bergungsprozedere durch Schiffe der Navy. Im Mittelpunkt der Mission aber stand das Befinden Hams: In monatelangen Drills war der Affe darauf dressiert worden, bestimmte Tasten in festgesetzter Reihenfolge zu drücken. Tat er es nicht, erhielt er über Elektroden an der Fußsohle einen (leichten) Stromschlag. Während des 16-minütigen Parabelflugs erfüllte Ham seine Aufgabe fehlerlos. Weder in der Schwerelosigkeit noch als er beim Wiedereintritt in die Atmosphäre mit 15 g in den Sitz gepresst wurde, zeigte er Anzeichen von Angst oder Panik.
Das war der Erfolg, den Gilruth brauchte. Mit dem Flug Hams war bewiesen, dass ein Primat, also auch der Mensch, unter den Bedingungen, die im Weltraum herrschen, autonom agieren konnte. Das menschliche Gehirn verfiel nicht in Panik, verweigert den Dienst oder versank schlichtweg in Wahnsinn, wie das durchaus von einigen Wissenschaftlern und Schriftstellern als Preis für den Übertritt dieser letzten Grenze an die Wand gemalt worden war.
Ein eigens von Gilruth eingesetzter Ausschuss kam, was die Technik der Weltraumfahrt anbetraf, zu einem ähnlich günstigen Ergebnis: Es gab während einer Raummission nur wenige Situationen, die bei einer Fehlfunktion in eine unausweichliche Katastrophe münden würden. Eine solche Situation stellt beispielsweise das Versagen des Antriebs kurz nach der Zündung dar; nur ein automatisches Rettungssystem (der Escape Tower) kann in diesem Fall helfen und die Astronauten außer Reichweite der explodierenden Rakete bringen. Die meisten technischen Probleme sind hingegen nur „kritisch“, das heißt es besteht genügend Zeit, dass nach ihrem per Sensoren gemeldeten Auftreten der Astronaut aktiv eingreift, um die Katastrophe abzuwenden. Das alles macht den Weltraum zwar nicht zu einem gemütlichen Ort, aber zu einem technisch wie menschlich beherrschbaren. Und das war das wahrscheinlich wesentlichste Ergebnis des Mercury-Programms.
Zum gleichen Ergebnis waren aber auch die Sowjets gekommen. Anfang März 1961 schickten sie mit Korabl-Sputnik 4 einen Dummy-Astronauten hoch. Nur eine Erdumkreisung wurde vollendet, dann bereits der Wiedereintritt eingeleitet. Der Flug diente ausschließlich dazu, die Landetechnik eines bemannten Raumschiffs auf festem Boden zu testen. Während die Kapsel gen Erde raste, wurde der Dummy mit einem Schleudersitz aus der Kapsel katapultiert und sank dann an einem Fallschirm sanft zu Boden.
Obwohl man die Kennedy-Administration mit Mercury-Redstone 2 besänftigt hatte, begann die Zeit also langsam knapp zu werden. Man wollte nicht ein drittes Mal gegen die Russen verlieren, war sich aber bewusst, dass der erste russische Kosmonaut einen Orbit erreichen würde – was für die Amerikaner noch in weiter Ferne lag. Russland hatte seit 1957 ausschließlich Orbitalflüge gestartet und sich dank überlegener Raketentechnik mit suborbitalen Spielereien erst gar nicht aufgehalten. Aber auch wenn der erste Amerikaner nur wie weiland Münchhausen auf der Kanonenkugel den Weltraum erreichen würde – der erste Mensch im Weltraum wäre immerhin ein Amerikaner.
Die Einzigen, die sich von dergleichen Überlegungen nicht beeindrucken ließen, waren die Huntsviller Ingenieure. Die 15 g nämlich, denen sich Ham ausgesetzt sah – drei mehr als berechnet –, waren entstanden, weil das Triebwerk der Redstone den Treibstoff zu schnell verbrannte und die Kapsel dadurch höher aufstieg als sie sollte (250 km statt 185 km). Und das verlangte, so die Huntsviller, nach Klärung und damit zu einem weiteren unbemannten Teststart.
Robert Gilruth war dagegen, da er das Problem für leicht zu beheben hielt. Doch konnte er sich bei James Webb, dem von Kennedy neu eingesetzten NASA-Leiter, nicht durchsetzen. Das Risiko schien einfach zu groß. Und so bekam Huntsville noch einen Teststart der Redstone bewilligt, musste dabei aber auf jede Unterstützung der Space Task Group verzichten. Gilruth weigerte sich sogar, diesem Test eine „ordentliche“ Startnummer im Rahmen des Mercury-Programms zuzugestehen, weshalb der Start am 24. März unter der Bezeichnung Mercury-Redstone BD durchgeführt wurde. BD steht für Booster Development = Raketenentwicklung, und die ist Sache von Huntsville, womit schon im Namen zum Ausdruck kommt, dass diese (nach Gilruth sinnlose) Mission ausschließlich auf das Konto von Huntsville geht.
Ursprünglich war diese Mission als Mercury-Redstone 3 vorgesehen und mit ihr sollte Al Shepard als der erste der Mercury Seven ins All fliegen. So aber war es eine unbemannte Redstone mit einer Dummy-Kapsel als Nutzlast, die an diesem Tag in den Himmel stieg. Sowohl Countdown als auch Flug verliefen völlig problemlos, womit sich Gilruths Einschätzung bestätigte – man hätte sich diese zusätzliche Testmission schenken und gleich bemannt an den Start gehen können. Durch diesen „Zwischenschritt zu viel“ hatte sich aber der Starttermin von Mercury-Redstone 3 mit Al Shepard an Bord um vier Wochen auf den 25. April 1961 nach hinten verschoben, und in diesen vier Wochen sollte sich die Zukunft Apollos entscheiden. Bis dahin war es vor allem ein Wunschprojekt der NASA (ohne konkrete Finanzierung), ungeliebt beim neuen Präsidenten, der lieber mehr und größere Raketen hätte, die Atombomben transportierten und nicht mehr oder minder tatenlos im Orbit kreisten.
Zwei Wochen vor dem angesetzten Shepard-Flug und nicht einmal vier Jahre nach Sputnik 1 begann am 12. April 1961 um 9.07 Uhr Ortszeit Baikonur eine weitere neue Zeitrechnung – die der bemannten Raumfahrt. Die Rakete Wostok-K, eine Weiterentwicklung der R-7, brachte den 4,7 Tonnen schweren Satelliten Wostok 1 in einen Erdorbit, an Bord der erste Weltraumreisende Juri Alexejewitsch Gagarin. Er kreiste einmal um die Erde und landete nach einer Stunde und 48 Minuten, nachdem er in einer Höhe von etwa 7.000 Metern per Schleudersitz aus der Kapsel katapultiert worden war, rund 26 Kilometer südwestlich der Stadt Engels (benannt nach Friedrich Engels, dem Finanzier und Wegbegleiter von Karl Marx).
Fünf Tage später landete ein Invasionstrupp von Exilkubanern mit (damals noch geheimer) Unterstützung der CIA in der Bahía de Cochinos, der Schweinebucht, um dem revolutionären Treiben in Kuba ein Ende zu setzen. Aber nicht nur im Weltraum reihte sich eine Niederlage an die andere, auch im Geschäft irdischer Kriege blieben die Amerikaner vom Erfolg verlassen: Die kubanische Armee unter dem Oberbefehl Fidel Castros brauchte nur zwei Tage, bis sie die Konterrevolutionäre aus dem Norden vernichtend geschlagen hatte. Der Sieg des Sozialismus/Kommunismus schien auf allen Gebieten so unausweichlich wie nah …
Noch unter dem Eindruck der desaströsen Meldungen, die er während dieser zwei Tage aus Kuba erhielt, stellte Kennedy seinem Vize-Präsidenten Lyndon B. Johnson in einem Memorandum die Fragen, die gleichsam die Geburt Apollos einleiteten: „Haben wir eine Chance, die Sowjets zu schlagen, indem wir ein Laboratorium im Weltall errichten, oder indem wir den Mond umrunden, oder indem wir eine Rakete auf dem Mond landen, oder indem wir eine Rakete mit einem Menschen auf den Mond und zurückfliegen lassen? Gibt es irgendein anderes Raumfahrtprogramm, das dramatische Resultate verspricht und das wir gewinnen könnten?“ Natürlich kam in diesen Sätzen „präsidiale Panik“ zum Ausdruck, wie der Historiker Michael Beschloss (Jahrzehnte später) bemerkte.
In den folgenden zwei Monaten informierte sich John F. Kennedy eingehend über den Stand des bisher Erreichten in der amerikanischen Raumfahrt sowie darüber, was diese in absehbarer Zeit erreichen konnte, um den russischen Vorsprung wettzumachen. Gleichzeitig trat James Webb, sein Mann bei der NASA, in Anhörungen des Kongresses auf, wo er die Abgeordneten mit dem (bisher nur sehr allgemein gehaltenen) Apollo-Programm vertraut machte. In dieser Phase gelang es der Space Task Force am 5. Mai 1961 endlich, Al Shepard mit der Mission Mercury-Redstone 3 ins All zu schießen, womit auch in den USA die bemannte Raumfahrt – wenn auch suborbital bescheiden – ihren Anfang nahm. Und am 25. Mai kam Kennedy am Ende einer langen Rede vor dem Kongress auf die (zukünftige) amerikanische Raumfahrt zu sprechen:
„I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth. No single space project in this period will be more impressive to mankind, or more important for the long-range exploration of space; and none will be so difficult or expensive to accomplish.“
Ich bin der Meinung, dass dieses Land sich dem Ziel verpflichten sollte, noch vor Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond zu landen und ihn wieder sicher auf die Erde zurückzubringen. Kein anderes Weltraumprojekt wird in dieser Zeitspanne die Menschheit mehr beeindrucken oder für die langfristige Erforschung des Weltraums wichtiger sein, keines wird aber auch so schwierig und so kostspielig zu erreichen sind.
Dieser Passus wurde zum Startsignal für das Unternehmen Bemannte Mondlandung, weshalb heute völlig zu Recht der 25. Mai 1961 als „wirklicher“ Geburts-Tag des Apollo-Projektes gilt.
Noch im gleichen Jahr begann die NASA, deren Budget vom Kongress um Milliardenbeträge erhöht wurde, eine ganze Infrastruktur eigens zur Mondfahrt aus dem Boden zu stampfen. An der Ostküste Floridas entstand, unter der Führung von Kurt Debus, mit dem Kennedy Space Center (KSC) ein eigener Weltraumbahnhof mit Startanlagen für die gigantische Mondrakete, die als Saturn V gerade am Reißbrett im Entstehen war, Treibstoffspeicher, Betankungs- und Transportvorrichtungen sowie die Montagehalle der Mondrakete, das Vertical Assembly Building (VAB), viele Jahre das weltweit größte Gebäude mit dem größten ungeteilten Raum (Volumen 3,7 Millionen Kubikmeter).
Die Space Task Group wurde umbenannt in das Manned Spacecraft Center (MSC) und erhielt bei Houston, Texas, eine eigene Zentrale, zuständig für „alle Bereiche des bemannten Raumfluges vom Raumfahrzeug über die Astronauten-Ausbildung bis zur Planung und Durchführung der Experimente, die Astronauten im Weltall vornehmen.“ Leiter des Centers blieb Robert Gilruth. Hier wurden sowohl die Astronauten als auch das technische Equipment, vom Raumschiff bis zu den Raumanzügen, den härtesten Tests unterzogen. Es gab eine eigene Vakuumkammer, einen schalltoten Raum, einen 40 Tonnen schweren Apollo-Simulator, eine riesige Zentrifuge, die größte der Welt, in der man Kräfte von bis zu 30 g erzeugen konnte. Nicht zuletzt wurde auf dem Gelände eine karge Mondlandschaft nachgeahmt, in der die Astronauten die Fortbewegung und das Hantieren mit schwerem Gerät üben konnten.
Die Raketenentwicklung in Huntsville wurde zum Marshall Space Flight Center (MSFC), das sich unter der Leitung Wernher von Brauns fortan ausschließlich mit der Konstruktion von Saturn-Raketen befasste, der ersten Raketen-Familie, die ausschließlich für einen zivilen Zweck, der bemannten Mondlandung, entwickelt wurde.