21. Aufbruch zu anderen Welten
Etwa zur gleichen Zeit, als Gemini IV aus dem Orbit zurückkehrte, begann die Jugend des Landes ihren ganz eigenen Aufbruch: Nicht der Mond war das Ziel, sondern ein anderes, ein besseres Amerika. Besser als das, in das sie hineinzuwachsen begann: 1964 hatte ihr Land den Krieg in Vietnam – mit einer Lüge, wie man heute weiß – ausgeweitet; zu Tausenden schickte man Wehrpflichtige nach Südostasien.
Mit der Lüge ist der Tomkin-Zwischenfall gemeint: Am 2. August 1964 meldete die USS Maddox, die sich im Golf von Tonkin auf einer Aufklärungsmission befand, sie werde von nordvietnamesischen Patrouillenbooten beschossen. Als die USS Turner Joy im Golf eintraf, um sie zu unterstützen, seien beide Kriegsschiffe am 4. August ein weiteres Mal von nordvietnamesischen Patrouillenbooten angegriffen worden.
Obgleich Lyndon B. Johnson diese Darstellung, die von Geheimdienstberichten unterstützt wurde, selbst bezweifelte, nahm er sie als Anlass, um nur drei Tage später im Kongress eine Resulution zur „Stärkung des internationalen Friedens und der Sicherheit in Südostasien“ (die so genannte Tonkin-Resolution) einzubringen, die von den Abgeordneten einstimmig angenommen wurde.
Sie ermächtigte die Regierung zu praktisch jedweder Aktion in Südostasien, „including the use of armed force“ (einschließlich des Gebrauchs von Waffengewalt“), um gegen die weitere Ausbreitung des Kommunismus vorzugehen. Bereits am 5. August ordnete Johnson einen „Vergeltungsangriff“ von Jagdbombern der 7. Flotte gegen die Hafenanlagen von Vinh an. Später zeigte sich jedoch, dass die Resolution schon Wochen vor den angeblichen Ereignissen im Golf von Tonkin ausgearbeitet worden war. Tonkin lieferte lediglich den Vorwand für den Kriegseintritt der USA gegen Nordvietnam.
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Im Sommer 1965, als die Bilder von Gemini IV veröffentlicht wurden, zog es die Ersten dieser Jugend nach San Francisco. Dort, hauptsächlich in Height Ashbury, campierten sie im Freien, musizierten, hielten Reden, lasen Gedichte, diskutierten, verbrannten Einrufungsbescheide und konsumierten hingebungsvoll Drogen, gern und vor allem LSD (das zu dieser in den USA legal war), um ihr Bewusstsein und ihren Blick auf die Realität zu erweitern. Es war die Geburtsstunde der Hippie-Bewegung, auch Flower Power genannt. Als die nächste Mission, Gemini V, am 21. August 1965 startete, war die Bewegung bereits zu einem medialen Ereignis geworden.
Während das Apollo-Programm nach dem Desaster der Mission AS 204, die nachträglich zu Ehren der umgekommenen Astronauten in Apollo 1 umbenannt wurde, gegen die Deadline ankämpfte strebte das jugendliche Treiben in Kalifornien seinem Höhepunkt zu: dem Summer of Love des Jahres 1967. Von ihren Anfängen in Height Ashbury hatte sich die Hippie-Bewegung in den vergangenen zwei Jahren immer mehr ausgebreitet und war schließlich in New York angekommen. Die Blumenkinder waren zum Inbegriff der Gegenkultur geworden. All das fand parallel zu den Gemini-Missionen statt. Während die NASA den physischen Raum des Menschen in den Erdorbit erweiterte (dabei schon den Mond im Blick hatte), fokussierten sich die Hippies in ihrem Tun und Denken ganz auf die menschliche Sphäre, im Gesellschaftlichen, Künstlerischen und Psychologischen. Begleitet und unterstützt von den Bildern der Gemini-Missionen, die die irdische Welt als eine Welt zeigten, ohne menschliche Grenzziehungen (buchstäblichen wie metaphorischen).
Und sie fanden sich keineswegs allein, befanden sich in durchaus guter, wenn auch in der allgemeinen Öffentlichkeit (zunächst) kaum wahrgenommenen Gesellschaft: in der von Science-Fiction-Literaten.
Als die Amerikaner Ende der 1950er Jahre in die bemannte Weltraumfahrt einstiegen, war dieses Thema in der Science Fiction längst ein alter Hut. Allein zur Foundation zählten laut ihrem Berichterstatter Isaac Asimov bereits 1951, als die erste Erzählung des Zyklus erschien, „nahezu fünfundzwanzig Millionen bewohnte Planeten“. Raumfahrt zwischen diesen Welten war selbstverständlich und es war keine wirklich große Sache, „ob man über eine halbe Million Meilen oder ebenso viele Lichtjahre reiste“. Und auch schon lange vor Asimov waren Imperien, die sich über Tausende von Lichtjahren erstreckten, entstanden und wieder vergangen. Man war ganz leichthin überlichtschnell und im Hyperraum unterwegs. Man überwand Entfernungen zwischen Sternen, sogar zwischen Galaxien, beinahe so komplikationslos und schnell wie die zwischen irdischen Städten.
Aber 1961, als Kennedy den Mond als Ziel vorgab, begann sich in der Science-Fiction-Literatur, zu deren Basics der Weg zu den Sternen jahrzehntelang gezählt hatte, eine Wende abzuzeichnen: Nicht mehr der äußere Raum, wo man ja schon jede Ecke kannte, sondern die psychologischen und soziologischen Verhältnisse der Menschenwelt gerieten zunehmend in den Fokus.
Vor allem ein Roman war es, der alles änderte: Stranger in a Strange Land von Robert A. Heinlein. Der Roman erschien bereits zwei Monate nach Kennedys Rede im Kongress und wurde im darauffolgenden Jahr von Science-Fiction-Fans mit dem HUGO-Award als bester Roman des Jahres 1961 ausgezeichnet. Der Rest der Literaturwelt nahm indes kaum Notiz von ihm, und auch in der Science Fiction selbst verkaufte er sich trotz der Auszeichnung zunächst nur schleppend. Ab 1965 avancierte er dann in der neu entstandenen Hippie-Szene sowie im studentischen Milieu zu einem Kultbuch, vor allem wegen seines utopischen Gehalts, der sich keineswegs darin erschöpfte, „die dramatisch veränderte Einstellung zur Sexualität vorweg[zunehmen], die in den sechziger Jahren Amerika überschwemmte“.
Der Fremde in Stranger in a Strange Land ist ein Marsianer, das heißt ein Mensch, der auf dem Mars geboren wurde (seine Eltern waren Astronauten, die zum Mars flogen, dort aber verloren gingen), und das fremde Land, in dem er sich zurecht finden muss, sind die USA. Sozialisiert wurde Valentine Michael Smith, so sein Name, ganz und gar in der marsianischen, sehr, sehr alten Kultur. (1961, also noch keine menschliche Sonde den Mars erreicht hatte, konnte man dergleichen noch halbwegs glaubwürdig annehmen.) Der Roman schildert, wie sich die Menschen, die anfangs so sind, wie wir eben sind, also wenig einnehmend, unter dem Einfluss von Smith, der über PSI-ähnliche Fähigkeiten verfügt, zu einsichtigeren Menschen entwickeln.
Im Roman, der hauptsächlich aus Gesprächen besteht, diskutieren Atheisten, Juden, Christen und Moslems über Philosophie, Religion, Soziologie, Psychologie, Sexualität und vieles mehr – und alle finden, ohne ganz mit ihrem jeweiligen Glauben zu brechen, zusammen in Smiths neuem, den ganzen Menschen umfassendem Evangelium, das weit über Religion im herkömmlichen Sinne hinausgeht. Es beruht nicht auf Glaube, sondern auf Wissen. Es benötigt keinen persönlichen Gott, denn – und das ist der Kern der Smith’schen Botschaft – jeder Mensch ist Gott. Und so lautet auch der unter seinen Anhängern übliche Gruß: „Du bist Gott.“ Die letzte Stufe der Erkenntnis hat man erreicht, wenn man sich und jeden anderen ganz und gar als Gott, das heißt als ganzen Menschen versteht und erlebt. Aus der Gemeinschaft solcher Menschen entsteht unter Führung Valentine Michael Smiths ein neues Utopia.
1965 zündeten im Westen der USA auch Kunst und Ästhetik in einer gewaltigen Explosion und verbanden sich auf verschlungene Weise mit der hippieesken Utopie von Gewaltlosigkeit, des Antiautoritären, der freien statt der ehelichen Liebe. Amerika begeisterte sich noch an den Bildern, die Gemini IV zurückgebracht hatte, als The Charlatans für ihr erstes Konzert mit einem Plakat warben, das dem Betrachter schrille Farben entgegenschleuderte; es wurde zum Ausgangspunkt der psychedelischen Kunst, die bald die ganze Szene bis New York (und London und Berlin) beherrschte. Bei Bühnenauftritten setzten sich wenig später multimediale Licht- und Showeffekte durch. Die ersten Head Shops entstanden, wo Science-Fiction-Romane einträchtig neben Zubehör für den Cannabiskonsum angeboten wurden. Die Männer trugen, sich bewusst abgrenzend vom militärischen Kurzhaarschnitt, die Haare lang. Auch in der Kleidung unterschieden sich die Geschlechter kaum voneinander – was das Establishment auffallenderweise genauso übelnahm wie die Drogenaffinität der Szene.
Im Januar 1967, wenige Wochen vor dem Apollo-1-Feuer, fand im Golden Gate Park in San Francisco ein Happening, genannt Human Be-In, statt, an dem rund 20.000 Jugendliche teilnahmen (Be-in =Treffen, Beisammensein, gesprochen wie Human Being = Mensch). Zum einen wollte man dagegen protestieren, dass im Oktober 1966 LSD zur illegalen Droge erklärt worden war. Aber das allein war natürlich zu wenig. Man wollte nicht weniger versuchen, als „eine neue freie Gesellschaft innerhalb der alten“ aufzubauen, wie ein ehemaliger Digger es Jahrzehnte später beschrieb. Oder wie es die Organisatoren auf einer zwei Tage darauf einberufenen Pressekonferenz ausdrückten: „Hang your fear at the door and join the future (Vergiss deine Angst und wende dich der Zukunft zu).“
Anfang Mai schrieb (innerhalb von 20 Minuten) John Phillip von The Mamas and the Papas den Song Gehst du nach San Francisco, vergiss nicht die Blumen im Haar (If you’re going to San Francisco be sure to wear some flowers in your hair), der, gesungen von Scott McKenzie, am 10. Mai veröffentlicht und weltweit zum Instant-Hit wurde: In den USA erreichte er Platz 4 der Single-Charts (in England und Deutschland kam er bis auf Platz 1). Auch wenn die Greatful Dead, neben Jefferson Airplane die angesagteste Band der Szene, von dem glatten, auf Kommerz getrimmten Liedchen „ziemlich angepisst“ waren, wie Lou Adler, Produzent von The Mamas and the Papas zugab, verstand die Jugend des Landes den Song quasi als Aufruf, nach San Francisco zu pilgern.
Bis Juni waren es an die 100.000, die sich zum Höhepunkt des Summers of Love in San Francisco eingefunden hatten. Am 16. Juni begann dann das Monterey International Pop Festival, das weltweit erste seiner Art. Mehr als 30 Gruppen und Solosänger traten in den drei Tagen, die das Festival dauerte, auf. Zwei davon wurden nicht nur zu Stars, sondern (wie die gesamte Veranstaltung) zu Legenden: Niemand drückte die Stimmung ihrer Generation genauer aus als Jimi Hendrix und Janis Joplin. In Monterey feierte sich die Jugend, und grenzte sich mit ihrer Art zu feiern von der Elterngeneration ab: Musik, Drogen, freie Liebe; die Rebellion war ekstatisch, persönlich, ohne großartige politische Analysen. Joe McDonald, Gründer und Sänger von Country Joe and the Fish, die am zweiten Tag ihren Aufritt hatten, brachte es auf den Punkt: „Jeder sagte dir, dreh den Knopf nicht hoch bis zum Anschlag.“ Aber im Summer of Love entdeckte die Jugend, dass der Knopf bis 10 geht und drehte auch voll auf.
Aber jenseits der 10 gibt’s halt nichts mehr. Nach dem Monterey Pop Festival erkannten einige Hellsichtigere der Szene, etwa die Diggers, dass die Hippie-Bewegung bereits an ihrem Ende angekommen sein könnte. Sie organisierten, symbolisch gesetzt auf den 7. Oktober 1967, dem ersten Jahrestag des Verbots von LSD, einen Begräbnismarsch, den Death of the Hippie March, wo sie die Hippie-Kultur in einem Sarg zu Grabe trugen.
Aber natürlich kann man eine Rebellion, selbst wenn man ihr scheitern ahnt, nicht einfach per Knopfdruck beenden. Die Glücklichen des Summer of Love, Musiker, Künstler, Dichter, Kids, die bei ihrem Aufbruch nach San Francisco nicht alles hinter sich gelassen hatten, verließen Height Ashbury, kehrten zurück, woher sie gekommen waren. Diejenigen, mehrere Zehntausend, die blieben, erlebten, wie alles zusammenbrach: Es dauerte keine zwei Jahre, bis Height Ashbury implodierte.
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Während in San Francisco die Hippie-Bewegung symbolisch zu Grabe getragen wurde, bereitete man sich in Florida auf den Jungfernflug der Mondrakete vor. Von dessen Ausgang würde es abhängen, ob Apollo wieder zurück in die Spur Richtung Mond fand.
Die Konstrukteure der Mondrakete in Huntsville befanden sich 1967 noch halbwegs im Zeitplan. Mit ein Grund dafür war allerdings, dass sie sich der NASA-Spitze beugen mussten, die entschieden hatte, die Saturn V nicht mehr inkrementell, also Schritt für Schritt, auszutesten, wie man das bei der Saturn 1 getan hatte: Da wurde bei den ersten Starts zunächst einmal die 1. Stufe auf Herz und Nieren geprüft, während der Rest der Rakete aus Dummys bestand. War die 1. Stufe dann perfektioniert, folgte das Austesten der 2. Stufe, ebenfalls mit mehreren Starts.
Hätte man die ungleich größere und komplexere Saturn V nach dem gleichen Verfahren entwickelt, wäre der von Kennedy gesetzte Termin unmöglich zu halten gewesen. Deshalb hatte sich die NASA, noch während die Saturn 1 getestet wurde und gegen den Widerstand Wernher von Brauns, der in diesem Punkt aber nachgeben musste, dafür entschieden, bei der Saturn V mit dem all up-Verfahren alles auf eine Karte zu setzen. All up bedeutet „alles auf einmal nach oben zu bringen“ und meint, dass die Saturn V als Ganzes – mit allen Stufen und deren Untersystemen – an den Start geht.
Und so stand am 9. November 1967 eine voll funktionsfähige Saturn V in Cape Kennedy am Startkomplex LC 39A zu ihrem Jungfernflug bereit: Leermasse 794 Tonnen, Gesamtstartmasse 2.950 Tonnen, Nutzlast zwischen 130 Tonnen (in einen Erdorbit) und 40 Tonnen (in einen Mondorbit), Gesamthöhe (mit Nutzlast und Rettungsturm) 111 Meter. Die Rakete besteht aus drei Stufen sowie der Nutzlast oberhalb der dritten Stufe: dem Lunar Module (dem einzigen Dummy des Erstflugs) und dem Raumschiff (CSM).
Die erste Stufe, S-IC, ist 42 Meter lang, hat zehn Meter Durchmesser und verfügt über fünf F1-Triebwerke; die zweite Stufe (S II) ist 25 Meter lang, misst auch zehn Meter im Durchmesser und hat fünf J2-Triebwerke; die dritte Stufe (S-IVB) ist 18 Meter lang, der Durchmesser verjüngst sich auf 6,70 Meter und im Unterschied zu den anderen Stufen verfügt sie über nur ein Triebwerk (ein weiteres J2), das allerdings zwei Mal zünden muss: das erste Mal, um das Raumschiff in den Erdorbit zu bringen, das zweite Mal, um es aus der Erdanziehung Richtung Mond zu schießen.
Der Erststart der „neuesten und vollkommensten Schöpfung eines wissenschaftlichen Zeitalters“ lief unter der Bezeichnung Apollo 4, und viele der daran Beteiligten sagen, er sei „gewaltiger und aufregender als der von Apollo 11“ gewesen, so Jesco von Puttkamer, der in den 1960er Jahren von Wernher von Braun nach Huntsville geholt worden war, um am Apollo-Projekt mitzuwirken.
Neun Sekunden vor dem Liftoff – T minus 9 – beginnen die fünf Triebwerke der Erststufe zu feuern. Neun Sekunden brauchen sie, um den für das Abheben nötigen Schub aufzubauen. Während dieser Zeit wird die Rakete von vier Startklammern, jede mehr als mannshoch und 18 Tonnen schwer, auf der Rampe festgehalten. Im Moment des Liftoffs – T minus Null (um exakt 7:00:01 Uhr Ortszeit) – lösen sie innerhalb weniger Millisekunden die Verbindung und geben die Rakete frei, die daraufhin langsam in die Höhe steigt. 20 Tonnen Treibstoff jagen die Pumpen durch die Triebwerke. Die Gesamtleistung der Triebwerke liegt zu diesem Zeitpunkt bei 40 Gigawatt (das sind 54 Milliarden PS); ein Vielfaches der Leistung selbst der größten Kraftwerke (die Leistung eines Raketentriebwerks ergibt sich als Produkt von Treibstoffdurchsatz pro Sekunde und dem Quadrat der Ausströmgeschwindigkeit der Gase). Allein im Schall, der durch die Druckwelle radial abtransportiert wird, steckt noch eine Energie von rund 500 Megawatt! Das Studio, in dem Walter Cronkite, Kilometer vom Startplatz entfernt, für CBS live kommentiert, wackelt und zittert beängstigend.
135,5 Sekunden nach Brennbeginn schaltet das innere der fünf F1-Triebwerke ab; 18,3 Sekunden später die vier äußeren. Bei Abtrennung der ersten Stufe hat die Rakete eine Höhe von 44 km und eine Geschwindigkeit von 9.600 km/h. Die Triebwerke der zweiten Stufe feuern sechseinhalb Minuten; bei Brennschluss hat die Rakete eine Höhe von 187 km und eine Geschwindigkeit von knapp 25.000 km/h. Nach Abwurf der zweiten Stufe zündet die dritte Stufe, die S-IVB, zum ersten Mal; ihr einzelnes J-2-Triebwerk brennt zweieinhalb Minuten und nach Brennschluss, 12 Minuten nach dem Liftoff, hat die Rakete den Erdorbit erreicht; die Geschwindigkeit beträgt jetzt 28.000 km/h. Die Umlaufbahn hat den höchsten Punkt bei 187 Kilometer, den niedrigsten bei 182 Kilometer. Nach zwei Umrundungen der Erde zündet das J2-Triebwerk der S-IVB ein zweites Mal, wodurch die (fast) kreisförmige Umlaufbahn in eine lang gestreckte Ellipse geöffnet wird, die das CSM auf Mondkurs bringt. Danach erfolgt die Trennung von CSM und S-IVB; die Raketenstufe stürzt zur Erde zurück (wo sie in der Atmosphäre verglüht), während das Raumschiff weiterhin Richtung Mond fliegt.
Den höchsten (weitesten) Punkt der Flugbahnellipse erreicht das CSM in einer Entfernung von 18.250 Kilometer, dann führt die Bahn das CSM zurück Richtung Erde. Durch Zünden des SM-Triebwerks wird das CSM auf eine Geschwindigkeit von knapp 40.000 km/h beschleunigt, der Geschwindigkeit, die es hätte, wenn es tatsächlich vom Mond zurückkehren würde. Dies ist die höchste Geschwindigkeit, die menschliche Technik bis dahin zuwege gebracht hat. Nach der Abtrennung des SM tritt die Apollo-Kapsel (CM) in die Erdatmosphäre ein, wobei der Hitzeschild eine Temperatur von über 2.500 Grad entwickelt. Sie landet etwa 16 Kilometer vom errechneten Punkt entfernt im Atlantischen Ozean, wo sie vom Bergungsschiff, der USS Bennington, aufgesammelt wird.
Apollo 4 war der sprichwörtliche Bilderbuchstart; die gesamte Mission lief ab wie ein Uhrwerk. Nie zuvor (und nie mehr danach) ging der Erststart einer völlig neu entwickelten Rakete so reibungslos über die Bühne. Das Apollo-Programm befand sich wieder auf Kurs, und die NASA gewann fast zwei Jahre nach dem Feuer in der Apollo-1-Kapsel ihr Selbstbewusstsein zurück: Auch wenn die Zeit langsam knapp wurde, hielt man die Erfüllung von Kennedys Zeitvorgabe wieder für möglich.
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Nach dem ersten, unbemannten Testflug eines LM im Erdorbit (Apollo 5) absolvierte die Saturn V mit Apollo 6 am 4. April 1968 ihren zweiten unbemannten Testflug. Die allgemeine Ansicht war, dass man sich zurücklehnen und der Rakete dabei zusehen könne, wie sie ihren Job abspulte. „Was sollte noch passieren?“, so ein Projektingenieur später im Rückblick.
Doch es kam anders: Während die Triebwerke der Erststufe feuerten, wuchsen die POGO-Schwingungen stetig an, bis sie so stark geworden waren, dass man die Mission, wäre sie bemannt gewesen, hätte abbrechen müssen. Der Ursprung von POGO-Schwingungen liegt in den Vibrationen, die die Triebwerke erzeugen. Das führt in den Leitungen, die den Treibstoff in die Brennkammer befördern, zu einem unregelmäßigen Treibstoffzufluss, was seinerseits in den Brennkammern Druckschwankungen verursacht. Dadurch kommt es zum Stottern der Triebwerke: Es treten Längsschwingungen auf, bei der sich die Rakete wie eine Ziehharmonika abwechselnd zusammenzieht und wieder ausdehnt. (Dieser Ziehharmonika-Vergleich stammt von Wernher von Braun selbst; er erwähnt ihn in The Perils of Pogo, enthalten in Apollo Expeditions to the Moon.)
Nach dem Abtrennen der ersten Stufe – wodurch die POGO-Schwingungen verschwanden – und dem Zünden der zweiten, verlief zunächst alles wieder nach Plan, bis plötzlich ein Triebwerk der Zweitstufe unregelmäßig zu laufen begann und sich schließlich abschaltete, neun Sekunden später schaltete ein zweites ab.
Die Rakete kompensierte diese Ausfälle, indem sie die drei noch verbleibenden J2-Triebwerke der zweiten Stufe sowie das einzelne J2-Triebwerk der dritten Stufe länger brennen ließ. So konnte die Rakete einen wenn auch niedrigeren Orbit als den vorgesehenen erreichen. Was aber noch immer ausgereicht hätte, um mit der zweiten Zündung des J2-Triebwerks der dritten Stufe das Raumschiff in eine Bahn zum Mond zu bringen. Als nach zwei Erdumläufen dieses TLI genannte Manöver ausgeführt werden sollte, zündete das Triebwerk jedoch nicht.
Die S-IVB, die Drittstufe der Saturn V, war also nutzlos geworden. So wurde entschieden, das CSM vorzeitig von der Stufe zu trennen und mit ihm die Mission zu Ende zu bringen. Das Triebwerk des SM wurde gezündet, was zwar den Orbit so weit erhöhte, dass man eine Rückkehr vom Mond simulieren konnte, doch reichte der Treibstoff nicht aus, um die Eintrittsgeschwindigkeit von 40.000 km/h zu erreichen (stattdessen waren es nur 36.000 km/h). Reibungslos liefen die anschließende Abtrennung des SM sowie die Wasserung des CM im Pazifik ab.
Was aber hatte die Probleme der Saturn V verursacht?
Die POGO-Schwingungen der Erststufe waren durch Bläschenbildung in der Sauerstoffzufuhr entstanden, was zu Unregelmäßigkeiten beim Verbrennen des Treibstoffs führte. Dieses „Stottern“ der Motoren lag im gleichen Bereich wie die Eigenfrequenz der Rakete, wodurch sich die Schwingungen ständig verstärkten, bis sie die gesamte Rakete erfasst hatten. Die Lösung dieses Problems: Man führte den Leitungen Helium zu (das chemisch inert ist), was die Sauerstoffzufuhr gleichmäßiger machte und das Stottern zum Verschwinden brachte.
Einige J2-Triebwerke – zwei der fünf in der Zweit- sowie das eine der Drittstufe – fielen nach der Zündung aus beziehungsweise zündeten kein zweites Mal, weil durch die POGO-Schwingungen die Nebenleitungen, die die so genannten Spark Igniters (die ähnlich funktionieren wie Zündkerzen im Automotor) mit Treibstoff versorgen, spröde wurden und schließlich rissen. Dass dieses Problem bei den Bodentests der Triebwerke nicht aufgefallen war, liegt an der Luftfeuchtigkeit der irdischen Atmosphäre: Infolge der tiefen Temperatur der Treibstoffe bildet sich um die Leitungen eine schützende Frostschicht, die die Schwingungen dämpfen. Im Vakuum des Weltalls gibt es jedoch keine Luftfeuchtigkeit, und daher kann sich auch keine schwingungsdämpfende Frostschicht ausbilden. Die Lösung hier: Um das Reißen der Leitungen im Vakuum zu verhindern, müssen sie nur verstärkt werden.
Die Probleme der Saturn V bei der Apollo-6-Mission konnten also exakt nachvollzogen und behoben werden. Deshalb verzichtete man darauf – anders als noch bei der Redstone wenige Jahre zuvor –, die Saturn V mit den vorgenommenen Änderungen ein weiteres Mal unbemannt zu starten. Die Rakete galt mit dem Flug von Apollo 6 am 4. April 1968 als „man rated“, als voll tauglich für eine bemannte Mission.
In Erinnerung blieb dieser Tag jedoch nicht wegen des Flugs von Apollo 6, der von morgens 7 Uhr bis nachmittags 17 Uhr dauerte und vom US-Fernsehen begleitet wurde, sondern weil zwei Stunden nach Missionsende in Memphis, Tennessee, 18.01 Uhr Ortszeit, Martin Luther King, Wortführer der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und Friedensnobelpreisträger des Jahres 1964, einem Attentat zum Opfer fiel, was in den folgenden Tagen zu schweren Unruhen in mehreren amerikanischen Großstädten führte. King hatte sich nicht nur öffentlich gegen den von den USA seit 1964 ständig ausgeweiteten Krieg in Vietnam ausgesprochen, ihn auch als Krieg gegen die armen Leute bezeichnet (weil das Geld, das er verschlang, ein Vielfaches der Kosten für die Raumfahrt, bei der Bekämpfung der Armut im eigenen Land fehle), sondern jeden Einzelnen dazu aufgerufen, gegen diesen Krieg zu protestieren. Auch dieser Protest erreichte 1968 einen ersten Höhepunkt: Noch nie zuvor gingen so viele Menschen gegen die Kriegspolitik des eigenen Landes auf die Straße.
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Während das ganze Land zusehends auseinander fiel – in Krieger und Tauben, in Schwarz und Weiß, in Arm und Reich –, bereitete man sich in Cap Kennedy, Huntsville und Houston (zum zweiten Mal) auf die erste bemannte Apollo-Mission vor. Im September begannen die Bodentests mit der ersten Kapsel, die alle Modifikationen enthielt, die nach dem Feuer gefordert worden waren. Und am 11. Oktober 1968 trug eine Saturn 1B um 11.02 Uhr Ortszeit die erste bemannte Apollo-Kapsel in einen Erdorbit.
Commander von Apollo 7 war Walter Schirra, ein altgedienter Astronaut mit bereits zwei Weltraumeinsätzen – eine im Mercury-, eine weitere im Gemini-Programm – der schon vor dem Start angekündigt hatte, dass dies seine letzte Mission sein werde. Sowohl für Donn Eisele, CM-Pilot, als auch für Walter Cunningham, offiziell LM-Pilot, obwohl kein Lunar Module mitgeführt wurde, war es der erste Weltraumflug.
Nach einem problemlosen Start und dem obligatorischen Systemcheck im Orbit, wurden CSM und S-IVB getrennt und flogen danach in Formation um die Erde. In den folgenden drei Tagen wurde immer wieder die Rendezvous-Technik mit dem neuen Raumschiff geübt: Das CSM wechselte in einen höheren/niedrigeren Orbit und musste von dort, mal „händisch“ (mithilfe der Sterne und des Sextanten), mal mithilfe der Radarortung, wieder an die Raketenstufe herangeführt werden. Auch die Annäherung an den Nutzlastadapter wurde simuliert; bei einer Mondmission befände sich darin das Lunar Module, an das das CSM ankoppeln musste, bevor es Richtung Mond aufbrach.
Mehrmals beschwerten sich die Astronauten, vor allem Walter Schirra, der Kommandant, dass sie aufgrund des dicht gepackten Programms zu wenig Schlaf fänden. Außerdem darüber, dass die Lüfter in der Kapsel, die die Luft ständig umwälzten, um lokale Kohlendioxidkonzentrationen zu vermeiden, zu laut seien.
Schirra schaltete eigenmächtig, gegen die Empfehlung von Mission Control, einige davon sogar ab. Während des gesamten Fluges gab sich Schirra renitent und missmutig. Immer wieder kam es zu Streitgesprächen zwischen ihm und Mission Control. Zum einen lag das an der Erkältung, die seit dem ersten Tag unter den Astronauten grassierte und deren Symptome unter Schwerelosigkeit besonders stark ausfallen (so läuft der Schleim nicht über die Nase ab, sondern sammelt sich im Kopf, wo er zu erhöhtem Druck führt), zum anderen aber auch daran, dass sich Schirra als kompromissloser Testpilot verstand.
Er verabscheute jede Art von „Gimmick“, die von den technischen Belangen einer Mission ablenkten, und unter Gimmicks fielen für ihn wissenschaftliche Experimente genauso wie Foto- und Filmaufnahmen. Bei seiner Mercury- und Gemini-Mission konnte er sich dergleichen weitgehend vom Leib halten. Bei Apollo 7 gelang ihm das nicht.
Zwar wurde mit Apollo 7, ganz nach seinem Geschmack, vor allem die Leistungsfähigkeit des Raumschiffs getestet, aber wesentlicher Punkt des Apollo-Programms war auch, dass die Öffentlichkeit, die es bezahlte, medial daran teilnahm. Und so wurden bei Apollo 7 erstmals in der Raumfahrt auch Live-TV-Kameras mitgeführt, um die Mission für das Publikum direkter miterlebbar zu machen. Dem musste er sich fügen, doch ließ er kaum eine Gelegenheit aus, um zu demonstrieren, was er davon hielt.
Als man verlangte, die erste geplante Liveübertragung vorzuverlegen, lehnte er das mit harschen Worten ab: „Wir haben noch nicht gegessen, ich bin noch immer erkältet, und ich weigere mich, mir meinen Zeitplan durcheinander bringen zu lassen.“
Erstaunlich war, dass Schirra, als dann die erste TV-Liveübertragung aus einem im Weltraum fliegenden Raumschiff lief – das war am 14. Oktober –, sehr gelassen und entspannt agierte. Von Unstimmigkeiten zwischen ihm und Mission Control war nichts zu bemerken. Wie auch bei den noch folgenden fünf Livesendungen genoss er es, Gegenstände im Raumschiff schweben, rotieren, fliegen zu lassen, oder sich selbst vor laufender Kamera in Bewegungsabläufen zu produzieren wie ein Fisch im Wasser – „Zero-G“-Spielereien, die bis heute quasi Standard sind bei Weltraum-Übertragungen.
Aber nicht nur die PR lief bei Apollo 7 wie am Schnürchen. Auch das Testprogramm wurde trotz der Erkältung der Astronauten abgearbeitet. So wurde etwa das SM-Triebwerk acht Mal gezündet, und jedes Mal lief es einwandfrei; die Rendezvous-Technik oder die Navigation mittels Teleskop und Sextant übte man so lange, bis sie saßen. Die wenigen Probleme, die sich ergaben – beispielsweise öffneten sich die vier Panels des Nutzlastadapters nicht ordnungsgemäß, was bei einer Mondmission das Ankoppeln des LM nicht möglich gemacht hätte, oder einige Trockensnacks stellten sich als zu krümelig heraus (was in der Schwerelosigkeit nicht nur lästig ist, sondern auch gefährlich werden kann) –, ließen sich alle mit kleineren Modifikationen ändern, sodass sie bei künftigen Missionen nicht mehr auftraten. Das Fazit der Apollo-7-Mission zog Walter Schirra, indem er die Apollo-Kapsel als „a magnificent flying machine“ bezeichnete.